Die Ängste in meinem Kopf
Langsam öffnete ich meine Augen und blinzelte in die hellen Sonnenstrahlen, welche trotz der frühen Uhrzeit bereits in mein Zimmer fielen. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es kurz nach sieben war.
‚Normalerweise wäre ich bereits seit einer halben Stunde auf dem Weg zur Schule. ’
Die letzten Wochen hatte ich mein Zimmer im Allgemeinen nur sehr selten verlassen, sodass meine Mutter mir am Abend zuvor erst erlaubt hatte, meinen kleinen Bruder und meine Schwester heute zur Schule zu bringen, als ich ihr versprochen hatte, dass ich danach sofort zurückkäme.
Nachdem ich meine Geschwister zum Schultor begleitet hatte, kehrte ich zur U-Bahn-Station zurück. Doch anstatt die braune Linie zu nehmen, die zu mir nach Hause fuhr, wartete ich weitere drei Minuten und stieg schließlich in die rote ein, welche in eine vollkommen andere Richtung fuhr. Mit gesenktem Blick setze ich mich auf einen der freien Plätze und starrte meine Hände an.
Erst einige Stationen später riskierte ich es, nach oben zu sehen. Mittlerweile war die Bahn, deren Ziel das Zentrum der Stadt war, wesentlich voller geworden. All den Menschen schien das nichts auszumachen. Ich hingegen fürchtete mich vor beinahe allem und jedem und jeden Tag wurde es schwerer für mich, unter Menschen zu gehen. Selbst die kleinsten Handlungen belasteten mich immer mehr, da ich stets Angst hatte, etwas falsch zu machen und mich dafür schämen zu müssen oder Ärger zu bekommen. Vor allem Menschenmengen versetzten mich leicht in Panik. Das alles wurde durch mein geringes Vertrauen in andere Menschen nicht gerade einfacher.
Mein ganzes Leben bestand daraus, Angst davor zu haben, nicht gut genug zu sein.
Nicht interessant genug. Nicht mutig genug. Nicht schön genug. Nicht dünn genug. Nicht intelligent genug. Kurz: darum genug zu sein.
Es wurde von Angst bestimmt - der einzigen Sache, von der ich wirklich genug hatte.
Bei der nächsten Station stieg ich aus. Während ich auf die Anzeigetafel der Bahn gegenüber blickte, hörte ich den leisen Signalton meines Handys und holte es aus meiner Tasche. Ich hatte noch eine Minute bis die Bahn einfuhr. Während ich näher an den Rand des Bahnsteigs trat, blickte ich ein letztes Mal, wie ich in diesem Moment annahm, auf das Display und musste erstaunt feststellen, dass ich eine Nachricht bekomme hatte.
Hey, lächele, okay? Du hast das hier bekommen. ^^
PS: Bist du nicht langsam lange genug krank gewesen? Wir vermissen dich hier.
Irritiert ließ ich meine Hand sinken und stellte fest, dass genau in diesem Moment die Bahn einfuhr. Da vibrierte mein Handy erneut und als ich darauf blickte, erschien tatsächlich ein leichtes Lächeln auf meinem Gesicht und ich trat zurück. Die Bahn fuhr ein und wieder aus, ohne dass ich sie eines weiteren Blickes würdigte.
Das Gefühl, nicht genug zu sein, ist immer da und wird auch nicht einfach so verschwinden. Doch hin und wieder gibt es Menschen und Momente, die einem das Gefühl geben, etwas wert zu sein – genug zu sein, oder vielleicht auch mehr.
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