Die Anklage
Seine Hände umfassten das Glas mit der orangen Flüssigkeit. Seine Fingernägel tippten leise dagegen. Die so entstandenen Klänge waren regelmäßig und leise.
Im Hintergrund hörte man das Ticken der Wanduhr, bald würde sie zur Stunde schlagen.
Er musste schnell sein, musste es tun bevor sie zurückkam. Er wusste, sie hätte ihm sonst das Glas entrissen und hätte seinen Inhalt verschwendet. Er musste es einfach wagen, es einfach tun. Aber das wäre zu leicht gewesen.
Die Minuten vergingen, seiner Meinung nach viel zu schnell. Er hatte immer weniger Zeit und die Minuten kamen ihm wie Sekunden vor. Er trottete durch das Zimmer, die zitternden Hände um das Glas gelegt und einen Fuß vor den anderen setzend.
Eine Minute nach der anderen verging, und seine Füße stoppten, als die Uhr zu ticken hörte. Er setzte sich und setzte das Glas an seine Lippen. Die Flüssigkeit rann seine Kehle hinunter und er spürte ein Brennen.
Er setzte sich auf den Stuhl, und seine Mundwinkel zogen sich erst zu einem Lächeln, und dann zu einem Grinsen hoch. Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen und genoss den Geschmack des Saftes.
Kurz darauf wurde die Türe aufgerissen und sie kam herein, die Haare zu einem Zopf geflochten. Sie strich sich ein paar lose Strähnen hinters Ohr und starrte den Mann an. Der Saft war bereits ganz ausgetrunken und sie konnte nichts mehr machen. Sie sah zu, wie der junge Mann langsam zu Boden sank und auf dem harten Holzboden landete.
Das Glas zersprang klirrend auf dem Boden und sie kniete sich hin. Vor ihr lag ein grinsender Mann, der gerade seine letzten Atemzüge genoss. Die Frau strich dem Mann durch die Haare, den Kopf auf ihrem Schoss abgesetzt. Gleich würden die Behörden da sein. Gleich würde alles herkommen, dann würde ein Prozess folgen.
Sie würde nicht angeklagt, das wusste sie, aber das machte die Situation auch nicht besser. Er war tot und sie hatte ihre Versprechen nicht halten können, das sie einst seiner Schwester gegeben hatte. Man hätte mehr tun können, dies hatte sie jedoch nicht geschafft.
Die Türe wurde aufgerissen und Beamte stürmten in den Raum. Klänge verschiedener Schreie erfüllten den Raum, sie sah, dass sich in dem Raum eine Flut von Menschen staute, jedoch nahm sie alles nur wie in einem Traum wahr. Menschen gingen kreuz und quer herum, es bildete sich eine Traube um die beiden.
Kaltes Metall wurde ihr um die Hände gelegt und verschlossen. Diese Tätigkeit holte sie aus ihrer Trance und sie erhörte nur noch die Worte: "Ms. Evens, Sie sind wegen Mord festgenommen. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird gegen sie verwendet. ”
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