Die Dame
Zwischen uns, ein Schachbrett. Die Figuren sind über dem Spielbrett verteilt, viele schon gefallen. Jede mit ihrer eigenen Geschwindigkeit, ihrer eigenen Taktik. Am Rande liegen die gestürzten Bauern, die Türme warten noch auf ihren Moment. Die Partie hatte schnell begonnen, die Figuren stürmten über das Brett. Doch dann. Längeres Überlegen. Stärkeres Zögern. Eine gewisse Unsicherheit. Mein Gegner lächelt mich siegessicher an, seine Mundwinkel verziehen sich zu einem grauenvollen Grinsen. Doch das Wichtigste hat er vergessen. Meine Hand schwebt über dem Spielbrett, die Figur fest in der Hand und ich setze sie ab.
Schachmatt
Der verwirrte Blick meines Gegners hält nicht lange. In nur einem kurzen Augenblick ändert er sich von unübertrefflicher Überlegenheit zu enttäuschter Fassungslosigkeit.
Meine Dame steht, das Haupt erhoben, auf dem Spielbrett. Sie schaut auf den gefallenen König. Gewonnen. Mein Blick schweift über mein altes Schachbrett, die ehemaligen schwarzen Felder sind nur noch braun und das Feld ist von feinen Kratzern überzogen. In der Mitte des Spielfelds thront sie, die mächtigste Figur im Spiel, jedoch nicht die wichtigste. Doch wieso? Der König, eingeschränkt mit nur einem Schritt, natürlich muss er geschützt werden. Doch zu welchem Preis? Eine starke Leistung ist nicht von ihm zu erwarten, während seine Bauern, Türme, Pferde und Läufer zu seinem Schutz das Spielfeld räumen. Die Dame, die bereits weite Wege hinter sich gelegt hat, kämpft meist bis zum Schluss, mit blutigen Knöcheln und einem Lächeln im Gesicht zieht sie in den Kampf.
Revanche? Aus meinen Gedanken gerissen schaue ich in die fragenden Augen meines Gegenübers. Vielleicht ein anderes Mal, ich habe heute noch viel vor, sage ich, stehe von dem alten Sessel auf, der ein leises Knarren von sich gibt, und gehe zur Tür. Ein letztes Mal drehe ich mich um und werfe meinem Gegner einen Blick zu, vielleicht ist dieser nun endgültig der letzte, den wir beide wechseln. Ich höre noch das Klingeln der Glocke, als ich die Türe schließe. In Gedanken an die Dame, und den Weg, den sie gehen könnte, trete ich hinaus. Die kalte Herbstluft schlägt mir ins Gesicht und ich spüre, wie sich meine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln formen.
Es ist Zeit, wie eine Dame über das Spielbrett zu ziehen.
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