Die drei Schwestern
Ziergärten reihen sich aneinander, als hätte sie jemand auf ein Stückchen Schnur aufgefädelt. Kleine, weiße Zäune, die den Anschein machten, regelmäßig gestrichen zu werden, begrenzen sie auf beiden Seiten. In diesem kleinen Dorf schein die Zeit vor einigen Jahrzehnten einfach stehengeblieben zu sein. Es pflegt eine lange Tradition, trägt eine geschichtsschwere Vergangenheit mit sich. Die Zukunft ist ihnen weitestgehend unwichtig. Alles läuft in geordneten Bahnen ab. Hier, in diesem Dorf, ist die Welt noch in Ordnung.
Unweit dieses Dorfes, eingebettet in sanfte Hügel, umgeben von malerischen Bergzügen und dunklen Wäldern, fließt ein kleiner Bach. Abgeschieden von der Außenwelt durch die eng aneinandergereihten Baumketten findet man eine Lichtung. Allerhand Insekten und Schmetterlinge beleben die Luft und erfreuen sich an den dort wachsenden Blumen. Wer nach ihr sucht, wird sie nicht finden. Wer sie findet, hat nicht nach ihr gesucht.
Kaum tritt man aus dem Schatten der Baumkronen auf diesen augenscheinlich alltäglichen Ort, verschwindet alle Angst. Alle Sorgen scheinen sich in Luft aufzulösen und durch eine undurchdringliche Ruhe ersetzt zu werden. Man hatte das Gefühl, in einem Moment eingefroren worden zu sein. Denn die Zeit verläuft hier in anderen Bahnen. Hier, auf dieser Lichtung, gönnt sie sich eine Pause.
Unter den Bäumen des umliegenden Waldes setzt sie sich zur Ruhe. Ein tiefer Atemzug folgt auf den vorherigen. Der Schein der Sonne bahnt sich seinen Weg durch die Wipfel, kreiert mit den Blättern der Bäume ein wunderschönes Lichtspiel. Die Käfer tanzen im Licht, wirken fast, als würden sie selbst schimmern und leuchten.
Niemals würde sie sich trauen, diesen Ort zu verändern, so wie es Zeit normalerweise an sich hatte. Diese Lichtung war heilig, denn sie war der Treffpunkt der drei Schwestern. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen beobachtete sie die Gestalten auf der Wiese vor ihr. Vergangenheit, mit jedem Jahr höher Richtung Himmel wachsend. Gegenwart, schon seit Jahrtausendenden in der gleichen Größe, und dennoch nicht unverändert.
Fernab von ihr spielten sie im hohen Gras. Insekten schwirrten um sie herum und spielten den Schwestern ihr Lied. Zeit kannte die drei Geschwister gut. Doch das jüngste der drei war ihr schon immer sehr am Herzen gelegen. Zukunft, die sich jeden Tag zu ändern schien. Zukunft, die auf jede Tat ihrer älteren Geschwister zu reagieren schien. Zukunft, die nie so klar zu sehen war wie ihre Schwestern.
Tumult und Unruhe findet man in dem kleinen, abgeschiedenen Ort nicht. Und obwohl es für unser Auge so scheint, dass die Zeit dort angehalten hat, so stimmt es doch nicht. Selbst in diesem Dorf wird die Zukunft eines Tages eintreten, möge es auch länger dauern als in unserer schnelllebigen Welt. Doch irgendwo, wenn man nicht danach sucht, findet man eine Lichtung inmitten eines alten Waldes. Dort, wo die Zeit wirklich still steht. Und wenn man Glück hat, setzt sie sich zu dir und betrachtet das Spiel der drei Schwestern.
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