Die Entscheidungvon Anna Klesse
Immer wieder lief er daran vorbei. Eigentlich hatte er es zu vermeiden versucht. Schließlich ging es ihn nichts an. Doch es verfolgte ihn. Er konnte nicht wegsehen. Die paar Male, an denen er einen anderen Weg genommen hatte, hatte er dennoch ständig darüber nachdenken müssen. Und heute an diesem Tag, kniete Frau Lütz auf der Wiese vor dem Haus. Mit einem Schwamm bewaffnet, schruppte sie an der Hauswand herum. Schaum sammelte sich, schwarzwässrige Farbe spritze herum, traf die Hauswand, die Wiese und auch Frau Lütz. Ihre Hände zitterten, als sie den Schwamm wieder eintauchte. Ihre Haare hingen ihr wie Fäden im Gesicht und ihr Makeup war verschmiert. Er wusste nicht, was er tun sollte, seine Schritte wurden langsamer, er hielt die Riemen seines Rucksacks fest. So fest, dass seine Handflächen schwitzten. Er hoffte, sie würde ihn nicht erkennen, ihn nicht grüßen, ihn nicht fragen. Eigentlich hatte er nichts damit zu tun. Nicht damit. Frau Lütz warf einen Schatten auf den Bordstein, auf dem er ging, als sie sich aufrichtete. Noch nicht alles war von der Hauswand entfernt, ein Großteil grüßte ihm noch immer hässlich entgegen. Er kannte die Worte nur zu gut, hatte sie schon so oft in der Schule gehört. Dieses ewige Mantra. Er blieb stehen. Er konnte sich nicht erklären, warum er das tat. Eigentlich musste er nach Hause und nicht hier vor diesem Haus Däumchen drehen. Gerade vor diesem Haus sollte er nicht so lange bleiben, wenn er die Gerüchteküche in der Schule nicht anheizen wollte. Er hatte doch alles getan, damit sie ihn in Ruhe ließen. Betroffen schaute er auf das schwarz verwischte Resultat. Es war nicht seine Schuld. Er hatte nicht darum gebeten, dass es so endete. Aber er hatte auch nichts dagegen getan. Ein bisschen war er auch erleichtert gewesen. Diese Gewissheit traf wie ein Schlag ins Gesicht. Was dachte er da? Er sah, wie Frau Lütz, den Eimer stehen lassend, ins Haus ging. Die Tür fiel ins Schloss. Langsam näherte er sich. Den Namen an der Klingel, kannte er schon seit etlichen Jahren, doch es fühlte sich anders an. Wie ein schlimmer Bruch, von dem er sich nicht mehr erholen würde. Benommen drehte er sich um. Sonst würde er morgen, nach der Schule, seine eigene Mutter antreffen, wie sie versuchte, die Worte zu entfernen, dass er sie nicht sehen musste, so wie es Frau Lütz tat. Er ging ohne sich noch einmal umzudrehen, doch die Wörter nistete sich bei ihm und ließen ihn nicht los.
Scheiß Schwuchtel.
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