Die ewige Heimsuchung
Olivia schaute sich ängstlich um. Sehr darauf achtend, keinen Mucks von sich zu geben schlich sie langsam den dunklen Korridor auf und ab. Wo kann er sein? Gerade hatte sie ihn doch noch gesehen… Todesängstlich probierte sie sich in einer Ecke zu verbergen. Da war er. Zuerst sah sie nur seine furchterregende Silhouette. Dann, als er näherkam, immer mehr. Er hatte sich ihr als der Engel des Todes vorgestellt, doch Olivia wusste, dass etwas anderes hinter ihm steckte. Olivia versuchte, sich so unbemerkbar wie möglich zu machen, doch sie konnte nicht anders, als einen leisen, aber hörbaren Quietscher von sich zu geben. Der Engel fletschte seine Zähne, zückte seine Sense und begann, nach ihr zu schnüffeln. „Olivia mein Kind!“, rief er, „Komm doch zu mir! Du weißt doch, du kannst nicht ewig vor mir flüchten! Komm, mein Schatz“, säuselte das Biest. Es war Olivia sehr wohl bewusst, dass jeder Mensch einmal sterben müsse, aber sie war vollst davon überzeugt, dass ihre Zeit noch nicht gekommen war. Sie hatte noch zu viel zu erreichen. Sie musste noch heiraten, Kinder kriegen, ihre Karriere durchstarten, all das, was in dem Leben einer 24-jährigen, gesunden Frau halt so ansteht. Doch sie wusste, dass sie nicht ewig flüchten konnte, denn die Jagd auf sie würde nie ein Ende haben. Jedoch würde sie alle ihre wenigen Kräfte zusammennehmen, um zu versichern, dass sie alle ihre Lebensziele erreichen würde.
Olivia war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass die Personifizierung ihrer größten Alpträume plötzlich verschwunden war. Sie schaute sich sicherheitshalber noch einmal um, gab sich danach aber damit zufrieden, dass das Monster nicht mehr zu sehen war. Das Problem mit diesen regelmäßigen Begegnungen war, dass sie immer nur mitten in der Nacht im Stockdunkel passierten, sie sich also nie wirklich sicher sein konnte, dass sie nicht träumte, doch tief in ihrem Herzen wusste sie, dass das menschliche Gehirn so etwas nicht erträumen konnte. Nun lag es an ihr, sich genug für den nächsten Tag auszuruhen, weil die Heimsuchung in der nächsten Nacht wieder beginnen würde.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX