Die Frage
„Können wir noch, können wir das wirklich tun?“, fragte er mich zum Abschied. Er küsste mich sanft auf die Lippen und verschwand hinter einer Ecke.
Auf diese Frage habe ich noch immer keine Antwort. Was er wohl damit gemeint haben könnte, frage ich mich zum zumindest hundertsten Mal diese Woche. Zuerst dachte ich, es ging um die Schule. Um die dreht sich ja zurzeit alles. Können wir diesem Druck noch standhalten? Alle stressen uns, die Zettel mit Aufgaben häufen sich auf meinem Schreibtisch und ich habe keine Ahnung, wie ich das alles je abarbeiten soll. Können wir es schaffen, ohne uns zu überfordern? Vielleicht meint er ja damit, können wir uns das wirklich antun, können wir es riskieren, daran zu zerbrechen, uns fertigzumachen und zu fragen: reichen meine Leistungen, gebe ich genug, oder geht noch mehr? Vielleicht, oder vielleicht auch etwas ganz anderes wie den Klimawandel zum Beispiel? - Ja, das könnte auch sein. Dieses Thema findet man ja heutzutage überall in den Medien. Können wir es noch schaffen, diese Erde zu retten? Darauf finde ich selbst keine Antwort. Wie können wir unsere Augen vor dem verschließen, was klar vor uns liegt. Die Schuld immer auf die anderen schieben, und uns denken, was kann ich schon ändern.
Auf jeden Fall hat er mir mit dieser Frage eine echte Denkaufgabe gestellt! Als ich sie mir beim Abendessen stelle und überlege, was damit gemeint sein könnte, höre ich plötzlich meine Schwester anfangen zu lachen. „Scheiße“, denke ich, „habe ich schon wieder laut gesprochen?“ Ich blicke in ihr doof grinsendes Gesicht. Sie kichert und sagt: „Vielleicht fragt er sich ja, ob er noch mit dir zusammen sein will. Ob eure Beziehung überhaupt Sinn macht, frage ich mich ja auch.“ „Blöde Kuh“, murmle ich. Nach dem Essen lasse ich mich auf mein kuscheliges Bett fallen und grüble weiter.
Ich denke an die Vergangenheit, was hätte ich ändern können? Hätte ich etwas besser machen können? Hätten wir Menschen diese Umweltkatastrophe verhindern können? -Nein, dafür sind wir definitiv zu egoistisch. Dann rufe ich mir in Erinnerung: Es bringt nichts, in der Vergangenheit festzustecken. Ich kann nichts mehr daran ändern, ich kann jetzt nichts mehr besser machen. Ich muss in die Zukunft blicken und versuchen, Fehler zu vermeiden. Wir dürfen nicht zu viel darüber grübeln, was passieren könnte. Eine Chance mit einer anderen vergleichen, überlegen mit welcher wir besser dran wären. Wir müssen Fehler machen, um aus ihnen zu lernen. Denn daraus besteht das Leben. Falsch entscheiden und es dann das nächste Mal besser machen. Vielleicht fällt mir morgen ja die perfekte Antwort dafür ein. Denn sie liegt irgendwo verborgen in meinem Inneren. Und ich kann nicht zu ihr durchdringen, schaffe es nicht, sie zu erreichen und auszusprechen.
Dann fallen mir die Augen zu.
Plötzlich wache ich mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Auf meinem Gesicht liegt ein breites Grinsen. Endlich habe ich die Antwort auf seine Frage gefunden.
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