Die Frau Lehrerin
Am Montag hat der Krieg geendet. Die Frau Lehrerin ist tot. Was tun wir denn nun? Wir, die Kinder. Wir, die wir noch immer wissen wollen. Vor allem jetzt, wo die Linken sich beschweren, dass es einen Krieg gab, und die Rechten sich beschweren, dass der Krieg nichts gebracht hat. Und die Kinder sich beschweren, dass sie davon nichts verstehen, auch wenn’s manchmal besser so ist. Das sagt die Oma immer so. Man brauche nicht immer alles zu verstehen und zu hinterfragen, man solle sich doch einfach mit dem glücklich finden, was man bereits hat. Mit dem Bekannten. Aber wir, die Kinder, wir kennen doch auch das Bekannte noch nicht. Wer hätte uns den lehren sollen, dass Bomben und Raketen nicht normal sind? Wer hätte uns in solch grausamer Zeit beibringen können, dass Elend und Tod nicht vertraut sein sollten. Die Frau Lehrerin ist ja tot. Und sonst weiß keiner was vom Krieg, zumindest nicht die, die noch leben. Und vor allem nicht die Oma, aber die lebt ja auch nicht mehr. Des Bäckers Tochter ist auch gestorben. Oder verschollen, man weiß es nicht. Als die Wellen Indonesien unter Wasser zerrten, war sie dort auf Urlaub gewesen. Zurückgekommen ist sie nie. Doch das ist ja im Grunde Keiner. Auch die Freunde aus der Schule nicht, die man mit nach Amerika nahm und ihnen ein besseres Leben versprach, und der Papa, der meinte, die Front sei ungefährlich, und die Schwester, die so sicher davon sprach, dass Widerstand etwas Gutes sei. Keiner weiß wo sie jetzt sind. Die Frau Lehrerin hat immer behauptet, dass Krieg nur deshalb schlimm sei, weil er keinen verschone, weil er den Verbündeten und den Demonstranten gleichermaßen in den Rücken fällt. Also, die Lösung? „Pazifismus.“ Frieden schließen. Eine grandiose Idee, haben alle gemeint. Doch was ist denn daran so toll jetzt wieder in Frieden zu leben? Jetzt, wo schon alle tot sind, sogar die Lebendigen. Was wollen sie denn jetzt damit erreichen? Die Rechten oder die Linken oder die, die sich ganz stolz „neutral“ nennen bis es heikel wird. Was erwarten sie denn nun von uns Kindern? Wir wissen doch nichts, die Frau Lehrerin ist nicht mehr da. Sie sagen, sie wollen die Schulen neu aufbauen, uns die gleichen Chancen geben wie den Amerikanern. Natürlich nur den Amerikanern, die dort geboren wurden und denen, die viel Geld haben und vor allem denen, die weiß sind. Die anderen schickt man doch gerne in den Krieg. Man weiß doch, dass sie nicht zurückkommen werden. Soweit denken sogar die Großen, die Reichen; die, die Macht haben. Ob sie wissen, dass auch sie sterben werden? Dass wir diejenigen sind, die ihren Planeten retten werden, die ihre von Mord und Hinterlist misstrauisch gewordenen, ihre durch Meinungen gespaltenen Gesellschaften wieder aufbauen werden. Wir, die Kinder, die wir doch nichts wissen weil die Frau Lehrerin eine neutrale Demonstrantin war. Wir, die wir nutzlos umherirren, die schwach und hungrig sind. Wir haben noch nicht aufgegeben, wir wollen noch etwas ändern. Aber können wir noch?
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