Die Insel in meinem Kopfvon Verena Wugeditsch
Ich atmete ein. Es roch salzig.
Eiskalte Luft füllte meine brennenden Lungen, schmerzte in meinem Hals als hätte ich tausende kleine Scherben verschluckt, verschlug mir den Atem; Der heulende Wind war klarer und schärfer als jedes Messer, an dem ich mir je die Finger blutig geschnitten hatte. Meine kirschroten Wangen waren taub. Und doch: Ich spürte dieses unablässige Stechen auf meiner blassen Haut, dieses Gefühl, als ob mir gerade jemand hart ins Gesicht geschlagen hätte. Und dies während ich doch wusste, dass keine Seele außer mir selbst hier war. Niemand hier sein konnte und durfte. Denn diese verzerrte, abstrakte Welt war ganz und gar die meine.
Als ich die Augen öffnete, dauerte es einen Moment, bis sie sich an die grelle Szenerie gewöhnt hatten. Das gleißende Licht blendete und zwang mich, einige Tränen wegzublinzeln, ehe sich meine verschwommene Sicht klärte. Der Horizont war nicht auszumachen unter den dicken Nebelschwaden, die sich wie ein endloses, weißes Meer um mich herum erstreckten, selbst wenn man sich bemüht hätte, und ein hastiger Blick hinab zu meinen nackten Füßen verriet mir, dass ich auf einer Insel stand; Kaum einen Meter über das pechschwarze Wasser ragend und von den Fluten umkämpft. Zu hören waren nur das jämmerliche Heulen des Windes und die Wellen, die unaufhörlich gegen den harten Fels peitschten. Wie Schleifpapier hatten sie sich über die Jahrtausende in das Gestein gefressen und an manchen Stellen glatt und weich geformt als wäre es Lehm.
Ich kannte diesen Ort, besser als ich zugeben wollte. Es war keiner von dem man behauptete, gerne dort zu sein; Meine eigenen Gedanken liefen pochend Tag und Nacht in meinem Kopf rauf und runter, hin und her, drohten, mich verschlingen; Wie ein Film, bei dem man nicht auf Pause drücken konnte. Und normalerweise, sagte ich mir, war meine Taktik einfach ruhig zu bleiben und zu warten. Den Wellen beim Peitschen zuzusehen und dem Fels dabei, wie er der See gehorchte und langsam seine Form verlor. Die Hände aneinander zu reiben und zu versuchen, nicht zu erfrieren. Auf der Insel zu kauern und sich an den allerletzten Funken Hoffnung zu klammern, als wäre er das Einzige, was noch zählte. Die leere Hülle seines Selbst zu sein und beinahe in Angst zu ertrinken. Ja, normalerweise, sagte ich mir, würde jemand kommen. Ganz sicher. Irgendwann.
Doch dieses Mal spürte ich, dass es kein normalerweise war. Keiner würde mich aus dieser weißen, grellen Hölle befreien, wie ich es doch gewohnt war. War Faulheit oder Schwäche der Grund, wieso ich immer wieder hier ausharrte? Ich wusste es beim besten Willen nicht.
Doch eines war meiner Wenigkeit durchaus klar: Entweder sie rettete sich selbst, oder niemand tat es.
Der Nebel lichtete sich genauso wenig wie die immer noch ungestüme Brandung sich beruhigte, und doch setzte ich zaghaft Fuß vor Fuß und kletterte am Fels hinab, tiefer, immer tiefer, dorthin wo die Wellen am wenigsten brutal auf den Stein klatschten und die Felswand ein wenig Windschatten spendete. Tiefrotes Blut rann von einem Schnitt auf meinem Knöchel in eine Wasserlache neben meinem Fuß und zerstob dort in kunstvollen Wölkchen, doch ich nahm den Schmerz nicht wahr. Ohne zurückzublicken ließ ich mich nach hinten in die Fluten fallen und merkte nur noch, wie die Gischt mir ins Gesicht schlug und die pechschwarzen Wogen mich schluckten.
Das Wasser schmeckte salzig. Warm. Anders. Mit einem Mal fiel all die Last von meinen Schultern, und als ich auftauchte, erneut nach Luft schnappte und die vom Salz brennenden Augen öffnete, sah ich die Insel. Von der See umkämpft und vom Nebel verschlungen. Kalt und erbarmungslos. Hinter mir.
Und da wusste ich, dass ich es geschafft hatte.
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