Die kleine Schwester von Selbstbewusstsein ist Reue
Heute habe ich meine Lieblingshose angezogen, schwarz, raues Material, weit geschnitten, so weit ich könnte sowohl dünne, spärliche Beinchen dahinter verstecken als auch breite, kurvige Hüften. Ich schaue in den Spiegel, mache ein paar Drehungen. Soll ich wirklich? Ja, ja ich fühle mich wohl. Heute bin ich selbstbewusst, sage ich mir selbst. Schnell lege ich noch meinen Schmuck an, tanze und singe dabei zur Musik, die in meinem Zimmer dauernd läuft, immer, in meinen Ohren, in meinem Blut, der Rhythmus, ich spüre wie er pulsiert, andauernd. Es ist ein guter Tag. Endlich einmal ein guter Tag.
Die U-Bahn fährt ein. Es war eine Überwindung, das Ticket zu kaufen. Mich hinaus in die viel zu schnelle Welt zu werfen. Die Menschen hier sind gestresst, ich spüre die Anspannung tief in der Luft hängen, wie ein Nebelschleier hängt sie da, man kann sie fast anfassen. Bei jedem Atemzug atme ich förmlich die unruhige Hektik der Masse ein und fühle, wie sie sich in mir breitmacht.
Leute steigen ein, stürmen durch die Türen hinaus. Ich setze mich und wippe leise mit der Musik mit, die wahrscheinlich viel zu laut aus meinen Kopfhörern dröhnt. Manchmal wage ich sogar leise mitzusummen. Heute bin ich selbstbewusst, sage ich mir wieder selbst.
Ich habe heute beschlossen, einmal alleine in die Stadt zu fahren, mich in einen ruhigen Park zu setzen und zu schreiben, was mir gerade für Gedanken zufliegen. Das hatte ich schon lange vor, doch wenn man so privilegiert ist und viel Zeit zur Verfügung hat, neigt man dazu, diese wenig zu nützen, sie ist ja eh immer da. Deswegen ist das „Ja, morgen dann“-Schema normalerweise mein treuer Begleiter.
Als ich dann angekommen bin, tief versunken und verträumt, in meiner Welt, in der ich auf der Bühne stehe und ewig schöne Lieder singe, setze ich mich auf eine grüne Parkbank. Nebenan befindet sich der Vergnügungspark der Stadt. Gleichaltrige haben dort ihren Spaß, jubeln, verspielen ihr Taschengeld. Ich könnte auch dort sein. Aber ich bin lieber hier. Heute gebe ich mich nicht dem Zwang der Gewohnheit hin. Heute bin ich selbstbewusst.
Nun versunken, verschlungen in mein Schreiben, heute sprüht das Spiel der Worte förmlich von meiner Hand, geht ein junger Student fast unbemerkbar mit selbstbewusstem Schritt vorbei. Ich schaue auf; kaum huscht ein freundliches Lächeln über meine Lippen, kommt er näher, fragt mich etwas. Er fragt nach dem Weg. Okay, die erste links, dann bisschen geradeaus und die letzte Straße rechts. Doch er hört nicht. „Der Platz ist frei, oder?“ Er legt eine Hand auf meinen Oberschenkel, ich sehe hinab, seine breite Hand auf meiner Lieblingshose. Hätte ich sie bloß nicht angezogen. Hätte ich das Ticket doch nicht gekauft. Hätte ich doch nicht zur Musik gesummt. Wäre ich doch nicht alleine in den Park gegangen, oder doch lieber morgen dann. Wäre ich doch mit Gleichaltrigen im Vergnügungspark.
Wäre ich doch nicht selbstbewusst gewesen.
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