Die Leere
Nachdem die Glocke geläutet hatte, blieb Anita noch ein bisschen in dem Klassenraum, in dem sie bis vor kurzem Unterricht gehabt hatte, sitzen und wartete darauf, dass die Leere verschwand. Natürlich wusste sie, dass das sinnlos war, die Leere verschwand nicht einfach so. Sie tat was ihr in den Sinn kam und dachte gar nicht daran Anita loszulassen. Seit knapp einer Woche schon hatte sie sich in Anitas Brust eingenistet und sie mit einer unangenehmen Kälte gefüllt, die keinen warmen Gedanken zuließ. Ausgerechnet jetzt, kurz vor ihrer Matheprüfung, wo sie die Ablenkung am allerwenigsten gebrauchen konnte. Ständig hatte Anita außerdem das Gefühl die Leere mit etwas füllen zu müssen, der Grund warum sie sich ständig überaß, oder versuchte anders die Leere zu verdrängen. Kurz gesagt, es ging ihr schlecht. Ihre Freundinnen hatten das auch schon bemerkt und besorgt nachgefragt, ob denn auch alles in Ordnung sein, doch Anita hatte das Angebot auf Hilfe nicht entgegengenommen, weil sie sich kindisch dabei vorkam zu behaupten, die Leere hätte von ihr Besitz ergriffen. Stattdessen täuschte sie eine Erkältung vor, was zur Folge hatte das Anitas Freundinnen sie mieden, um nicht mit der vermeintlichen Krankheit angesteckt zu werden. Der Leere gefiel das und sie entschied sich, sich noch ein bisschen weiter auszubreiten. Bis hinauf in Anitas Rachen streckte sie sich und streifte gelegentlich ihren Gaumen. Wie Anita jetzt so in dem Klassenraum saß und über die Leere nachdachte, fasste sie den Entschluss, diese loszuwerden. Also erbrach sich Anita in das Klo, in der Hoffnung die Leere dabei weg zu spülen, doch es half nichts. Es passierte sogar das Gegenteil, denn die Leere war begeistert von den negativen Gefühlen, die mit dem Erbrochenem hochschwappten und blühte richtig auf. Anita, nun mit berennendem Hals und nahezu übermächtiger Leere, machte sich mutlos auf den Weg nach Hause, denn der Mut hatte keinen Platz mehr. Garnichts hatte mehr Platz, denn die Leere hatte alles eingenommen und in die Leere passte nichts hinein.
Den ganzen Nachhauseweg lang weidete sich die Leere an Anitas Hoffnungslosigkeit. Langsam schleppte sie sich zu ihrem Haus, und jeder Schritt wurde von der Leere erschwert. Gerade als Anita die Haustür öffnen wollte, wurde diese mit Schwung geöffnet, und Marie, ihre kleine Schwester, klatschte ihre Hände direkt vor Anitas Gesicht zusammen. Es hatte den gewünschten Effekt, Anita erschrak fürchterlich. Doch die Erschrockenheit verwandelte sich in Gelächter, und das Lachen füllte die Leere mit Licht, bis es keine Leere mehr zu füllen gab. Die Leere wollte sich wehren, aber sie hatte längste verloren, wurde besiegt von der Erfülltheit, und Anita war frei, endlich frei.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX