Die Leiden eines alten Tränenfängers
Auch wenn man‘s mir nicht ansehen würde, habe ich sehr viel mit anderen Menschen gemeinsam. Vor allem den Menschen, denen man zu selten dankt, obwohl sie jederzeit dazu bereit sind, einem zu helfen, den Menschen, die ständig für einen da sind, wenn man eine Schulter zum Anlehnen braucht oder ein offenes Ohr haben, das einem immer zuhört. Mir dankt man auch zu wenig habe ich das Gefühl.
Ich kann nicht abzählen, wie oft ich in solchen Lagen andere unterstützt habe, aber trotzdem behandeln sie mich wie den letzten Schmutz, obwohl ich ihnen bei allemmöglichen bei Seite gestanden bin. Vom Kranksein bis zu leidvollem Herzschmerz habe ich alles miterlebt; ich war da nützlich, aber sobald ich mit meinem Zweck fertig war, wurde ich einfach weggeworfen. Ich habe ihre Tränen, ihr Leid getragen, jedoch kennt niemand meinen Namen. Alles, was niemand sehen darf, muss ich aufsaugen und mit mir tragen. Aber irgendwann breche auch ich ein, besser gesagt zerreiße ich, unter dieser Last der Gefühle, die ich aufgenommen habe.
In der heutigen Zeit haben immer weniger und weniger Menschen einen anderen, der meine Aufgabe übernehmen kann, darum muss ich jedes einzelne Mal einschreiten und deren Rolle einnehmen. Aber vielleicht liegt das, dass man niemandem irgendwas anvertrauen kann, auch an allen anderen, die dann schief schauen wenn man anspricht wie man sich fühlt. Die dann lachen, oder mit dem Finger auf einen zeigen, wenn man seine tiefsten Gefühle preisgibt damit man endlich aufatmen kann ohne die Last von Sorgen zu tragen. Aber nein, die gleichen Sorgen werden dann immer größer und größer und schließlich kann ich dann wieder einschreiten und mir alle Probleme anhören. Den ganzen Scham, die ganzen Emotionen, die in der Welt als „Schwäche“ oder „Mangelhaftigkeiten“ angesehen werden, all das sammel ich auf.
Aber all das müsste doch gar nicht so sein, oder? Wenn der Vater endlich akzeptieren könnte, dass der Sohn wohl auch Männer liebt oder wenn die Lehrerin die Schülerin im Unterricht nicht so bloßgestellt hätte, nur weil sie etwas nicht weiß, dann wäre es für jedermann, und vor allem für mich, eine viel schönere Welt. Zumindest weiß aber jeder, dass in guten und in schlechten Zeiten, ich immer Mut und Trost spende, stets alles auffangen kann und, sobald meine Arbeit getan ist, können sie mich einfach wieder in ihre Hosentasche stopfen, ohne dass irgendjemand jemals etwas erfährt. Ich bin zwar unscheinbar, aber trotzdem liegt in jeder meiner Fasern die verborgene Emotion.
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