Die letzten Augenblicke
Hier lag er nun – das Gesicht zur Wand – den Körper überströmt mit Blut. Er war sich nicht sicher, ob es sein Blut war, oder das von jemand anderes. Alles ging so schnell, und die Erinnerungen an die letzten Stunden verschwammen immer mehr. Die Verfolgungsjagd, die Konfrontation, der Streit und der darauffolgende Kampf – alles wurde zu einer unverständlichen, unbegreifbaren Erinnerung in seinem Kopf. Alles was er noch wahrnahm, war das Schlagen seines Herzes, und den Schmerz, der aus der Nähe seines Bauches zu kommen schien. Er versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, versuchte zu überlegen, was er jetzt als nächstes tun sollte. Doch es schien so, als ob sein Gehirn gelähmt wäre. Jede Überlegung, jede Idee die er hatte, begann sofort wieder zu verschwinden. Er wollte aufstehen, wollte Hilfe holen, doch seine Schmerzen und seine Gedanken ließen es nicht zu. Stattdessen lag er weiter da und alles was er sehen konnte, war die weiße Wand des Kellerraumes, in dem er nun schon, zumindest fühlte es sich so an, seit Stunden lag. Seine Augenlider wurden immer schwerer, es fühlte sich so an, als hätte er die letzten Wochen nicht geschlafen. Schließlich konnte er seine Augen nicht mehr länger offen halten, der Schmerz und die unglaubliche Müdigkeit ließen es nicht zu. Doch was geschah, als er sich schließlich der Müdigkeit geschlagen gab, konnte er kaum glauben. Es begann mit dem Mann, den er vor einigen Tagen in einem Kaffee getroffen und der ihn so nett angelächelt hatte. Danach sah er eine Szene aus seiner Kindheit, als er gerade seine ersten Meter auf dem Fahrrad zurückgelegt hatte. Immer weitere Augenblicke gelangten in seine Gedanken, Augenblicke aus seiner Vergangenheit, Augenblicke, die er wahrscheinlich selbst schon vergessen hatte. Es waren all die kleinen Dinge, die er nie wirklich wahrgenommen hatte, die ihm als zu unwichtig erschienen, um auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Doch jetzt, in diesem Moment, als er hier am Boden in diesem dunklen, feuchten Keller lag, erschienen ihm diese Augenblicke als das schönste und wichtigste der Welt. Kurz bevor ihm der Schmerz und die unglaubliche Müdigkeit das Bewusstsein nahmen, schafften es eben jene unwichtigen und vergessenen Augenblicke, ihm ein letztes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.
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