Die Lämmervon Yiannis Pagger
Es gibt mich.
Es gibt den Griesplatz.
Ich stehe am Griesplatz. Warte, dass die Ampel endlich auf Grün schaltet. Sie tut es nicht. Am Griesplatz gehen sowieso keine Menschen. So denkt zumindest der Hampl, der von irgendwoher den Takt vorgibt. Wie dem auch sei. Ampel und Hampl reimt sich, fällt mir gerade auf.
Plötzlich springt ein Hund auf die Straße und legt vor mir seine innerliche Last ab. Und noch plötzlicher rennt er wieder weg.
Aber am allerplötzlichsten rennt eine verzweifelt um Hilfe schreiende junge Frau aus einer der finsteren Türen hinter mir. Sie wird verfolgt. Zwei Männer schreien sich etwas in unverständlichem Ursteirisch zu, und nehmen die Verfolgungsjagd auf. Der eine ist nackt, muskulös und hat einen starren Blick. Es ist Arnold Schwarzenegger. Der zweite ist klein und unscheinbar. Irgendwoher kenn ich den… aus dem Fernsehen. Irgendwas mit Politik. Ich bin übrigens links. Ich bin die Guten.
Die Frau rennt über die Straße und weicht dabei knapp einem schwarzen SUV mit amerikanischen Kennzeichen aus. Der Arnold erstarrt im Gehen, nur mit seinem Blick verfolgt er ihren Weg. Stille. Der Politiker beginnt die französische Nationalhymne zu pfeifen. Super. Jetzt hab ich einen Ohrwurm. Er bricht ab. Stille. Die Frau rennt am gegenüberliegenden Gehsteig gegen eine Plakatwand und kippt um. Hastig versucht sie sich wieder aufzurappeln.
Jetzt pfeift er die usbekische Nationalhymne.
Die Frau torkelt unsicheren Schrittes an einem Kebapgeschäft vorbei und verschwindet im Inneren. Der Politiker läuft währenddessen blau an. Er beendet die Hymne, indem er die ausgeblasene Luft mit einem einzigen lauten Schniefer durch die Nase wieder einzieht. Und eine Biene. Die zieht er auch ein. Die Frau hat sich wieder gefangen und will gerade die Straße hinabeilen, da startet der Arnold durch und sprintet ihr mit regungsloser Miene hinterher. Als er gerade den ersten unglaublich muskulösen Fuß auf die Straße setzt, da ertönt plötzlich ein ohrenzerfetzender Knall, dann noch einer. Eine schwarz vermummte Gestalt blickt aus dem Dach des SUVs. Sie hält ein Gewehr. Noch ein Knall.
Ich sehe Arnold taumeln, er fällt hin und wird fast augenblicklich von einem türkisen VW Golf überrollt. Das Auto bleibt auf dem Muskelberg stecken. Die Räder drehen sich langsamer werdend in der Luft. Türkise Autos sind selten, fällt mir gerade auf. Jetzt noch seltener, denn Arnold stemmt sich in die Höhe, er packt den Wagen, reißt die Tür auf und streichelt dem Lenker mit seiner unglaublich muskulösen Hand den Kopf. Sodann wirft er das Auto mitsamt Fahrer gegen den SUV mit dem Schützen. Aber zuerst trifft er beim Ausholen den Politiker und schleudert ihn mit muskulös unglaublicher Geschwindigkeit gegen den Hund, der mit dem Kopf zur Wand auf bessere Zeiten gewartet hat.
Der SUV-Volkswagen Haufen scheppert in das nächste Kebapstandl. Und auch ins nächste. Dann bricht er auch durch das Kebapgeschäft im Haus dahinter. Dann weiter gen Osten.
Stille.
Der Politiker hebt seinen Blick und starrt direkt in die Augen des Hundes. Er ist augenblicklich verliebt, und plötzlich ist für ihn die Frau, die inzwischen nicht mehr zu sehen ist, nicht mehr von Interesse. Schnell holt er sein DNA-Testlabor aus der Jackentasche und entnimmt eine Probe aus dem Hinterteil des Hundes. Dieser scheint unbeeindruckt und beginnt an einem Büschel Gras zu kauen, dass sich zufälligerweise zwischen zwei Backsteinen ein Leben aufgebaut hat. Und unglaublich! Der Hund stammt tatsächlich zu hundert Prozent aus der Steiermark.
Da der Politiker nun seine große Liebe gefunden hat, klemmt er sich den Hund unter den Arm und will gerade weggehen, da kommt der SUV-VW Metallhaufen aus dem Westen dahergeschossen. Das Liebespaar wird mitgerissen, wieder verschwindet alles im Osten. Ich blicke ihnen nach. Ich blicke zur Straße. Der Verkehr steht, er steht aber nicht still. Es ist sehr laut. Arnold Schwarzenegger blickt emotionslos auf ein Plakat mit einer Honigwerbung. Ein anschwellendes Hupkonzert veranlasst ihn dazu sich mit seinen unglaublich muskulösen Fingern ein Loch in die Straße zu graben, und darin zu verschwinden. Das Hupkonzert geht weiter.
Ich stehe und warte, dass die Ampel endlich auf Grün springt. Tut sie nicht.
Ich warte. Und da schleichen sich allmählich Gedanken in meinen Kopf. Zuerst ganz still, wie ein Schwarm toter Bienen, die bereits zu faulen beginnen. Dann etwas lauter, als ob die Würmer, die sie zerfressen schmatzen würden. Und ganz zum Schluss, ganz zum Schluss da fühle ich mich wie ein Kebapverkäufer, dem gerade ein SUV das Standl einmal um die Erdkugel geschoben hat. Ich hätte helfen sollen! Ich hätte… Wie heißt das noch einmal? Irgendwas mit Zivil. Ah ja! Ich hätte Zivilgarage machen sollen. Die haben die Frau verfolgt! Ich habe keinen Plan warum, aber sie hatten sicher nichts Gutes vor. Außerdem wähle ich doch links. Links. . Das heißt. Ich bin… ich bin die Guten. Nicht? Wäre ich eingesprungen, hätte ich, wenn schon nichts erreicht, dann schon wenigstens nach gutem Gewissen gehandelt. Vielleicht wäre sie auch nett gewesen, und ich hätte ihr das Leben gerettet. Und wir würden heiraten.
Jaja… So ist das Leben. Ich weiß nicht.
Andererseits hätte mir das vielleicht nichts gebracht, weil ich tot wäre. Mit Arnold Schwarzenegger sollte ich mich besser nicht anlegen.
Ja, jetzt wo ich genauer darüber nachdenke, gegen Arnold Schwarzenegger habe ich keine Chance. Ich wäre eh nur ein weiteres Opfer gewesen. Also. Da kann ich ja mit gutem Gewissen heimgehen.
Das Garagending ist angemessen, wo es eine Chance gibt. Aber beim Arnold… Pfff.
Ich scheiß auf die Ampel, suche mir einen Weg durch die Autos und trällere die französische Nationalhymne vor mich hin.
Wenn ich eine Chance habe, so denke ich mir, werde ich in Zukunft eingreifen, wenn auf der Straße etwas passiert.
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