Die Mutprobe
„Ist das heute eine Hitze“, Emily stöhnte vor sich hin, während wir unsere Picknicktasche ausräumten. Tom sah sich um, während wir Mädchen eine Runde UNO spielten. „Da vorne ist eine Klippe, wo man super in den See runterspringen kann, wer traut sich?“, verkündete Tom freudig. Emily war die Mutigere von uns beiden, sie sprang sofort auf. Als wir an der Klippe standen, wurden meine Knie weich, sie zitterten regelrecht, es ging so weit nach unten. Tom rief begeistert: „Das wird super, wir springen jetzt gleichzeitig, das ist eine richtige Mutprobe!“. Emily zögerte und sah mich zweifelnd an. „Und was ist mit dir, Lucy, du Angsthase?“ Ich antwortete nicht. Tom stellte sich kerzengerade hin und sprang! Wenig später machte Emily es ihm nach. Beide tauchten prustend aus dem Wasser auf. „Komm schon, Lucy, sei nicht so feige, du verpasst damit immer das Beste!“, hörte ich es von meinen Freunden heraufschallen. Ich näherte mich vorsichtig dem Rand der Klippe, schloss die Augen und sprang. Als ich ins Wasser tauchte, kam es mir vor, als ob ich bis zum Boden eintauchen würde und meine Füße bald am Seegrund anstoßen würden. Zum Glück passierte das aber nicht. Ich sah mich um, zumindest waren hier keine Felsen im Wasser, plötzlich fiel mir ein, dass wir uns gar nicht vorweg vergewissert hatten, ob das so ist. Wie unvernünftig. Mir reichte es! Tom bestand darauf, dass wir nochmal springen sollten, er wurde immer übermütiger. „Jetzt machen wir einen Salto, das ist total easy!“. Selbst Emily fand diese Idee nicht mehr so gut und sagte, dass sie bei der Kerze bleiben würde und Tom doch eigentlich keinen Salto könne, aber Tom war nicht mehr davon abzubringen, er nahm sogar noch Anlauf, sprang und ließ es sich nicht nehmen, dabei noch zu schreien: „Lucy, du feige Nuss!“. Daraufhin drehte er sich tatsächlich in der Luft, aber es wirkte sehr unbeholfen und dann, es hörte sich fast wie ein Knall an, landete er bäuchlings und hart auf der Wasseroberfläche. Ab dann herrschte für einen Moment Stille, die aber rasch von Emilys schrillem Kreischen unterbrochen wurde. „Er bewegt sich nicht mehr!“ Tatsächlich trieb Tom regungslos auf dem Wasser. Emily sprang ihm sofort hinterher, ich rannte schnell den Hügel hinunter zum Strand. Gemeinsam zogen wir Tom ins Gras. Er hatte mittlerweile wieder das Bewusstsein erlangt, war aber kreidebleich, hustete und über seine Wangen rannen Tränen. „Mein Bauch tut so weh, es brennt ganz furchtbar“. Toms Bauch war knallrot, wie bei einem starken Sonnenbrand. Wir hatten großes Glück im Unglück, denn zufällig kam ein Bekannter vorbei, der ihn zum Arzt im Ort fuhr. Wir waren unglaublich erleichtert, als wir wenig später einen Anruf von Tom bekamen, der uns berichtete, dass mit ihm soweit alles in Ordnung war, er aber Hausarrest von seinen wütenden Eltern aufgebrummt bekam. Emily konnte sich nicht verkneifen, ihm zu sagen: „Tom, du kennst ja hoffentlich den Spruch: Übermut tut selten gut".
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