Die Sache mit dem Happy Endvon Elisabeth Hauser
Ein Kampf entbrannte zwischen Ritter und Drachen
Glühendes Feuer schoss aus seinem Rachen
Der Ritter hob das Schwert und parierte den Schuss
Und duckte sich unter dem Flammenguss
Der Drache brüllt auf und schlägt noch einmal nach ihm
Dann tritt der Held zum Schuppentier hin
Und mit einem Schwerthieb von gewaltiger Wucht
Schlug er das Ungeheuer in die Flucht
Triumphierend hob er sein Schwert in die Luft
Und wagte sich weiter vor in die Drachengruft
Es roch nach Schwefel und Drachenodeur
Trotzdem stieß er bis in einen großen Raum weiter vor
Dort wartet voller Erwartung Prinzessin Marie
Vom Drachen geraubt worden war sie
Sie fällt ihn um den Hals und gibt ihm einen Kuss
Happy End, jetzt ist aus und endlich Schluss!
Doch, Moment, etwas fehlt, da stimmt etwas nicht
Die Prinzessin löst sich vom Prinzengesicht
Da ist doch was faul, ganz komisch sogar
Als ob es doch nicht zu Ende war
Bei einem Happy End sollten Fanfaren erklingen
Und irgendwo sollten Vögel singen
Dann eine Kitschhochzeit, sie wurden gekrönt
Das ist das perfekte Happy End
Und das alles kam eigentlich von allein
Doch sie standen noch immer in der Höhle zu zwein
„Ähm…gut, was machen wir nun, Liebste?“
Der Prinz verlegen zur Prinzessin piepste
„Wir warten!“, keifte diese zurück
Leiden konnte sie den Prinzen kein Stück
Also setzten sie sich nebeneinander auf den Stein
Doch auch da trat das Happy End nicht ein
Aber was war eigentlich passiert?
Was hatte denn ihr Happy End ruiniert?
Die Erklärung ist einfach zu verstehen
Man muss nur etwas weitersehen
Die Autorin, die diese Geschichte geschrieben
War vor dem „Ende“ stehen geblieben
Kurz - sie hatte vergessen, es zu schreiben
Und deswegen würde ihre Geschichte ohne Ende bleiben
Niemand kam, auch nicht nach Stunden der Rast
Hatten sie ihr Happy End etwa verpasst?
Gut, dann nahmen sie ihr Schicksal selbst in die Hand
Und verließen die Höhle kurzerhand
Sie irrten durch das Drachenlabyrinth
Bis sie endlich draußen sind
Und der Prinzessin dämmert es irgendwann
Diesen Nichtsnutz von Prinzen will sie nicht zum Mann!
Mühsam kletterten sie vom Drachengebirge
Bis der Weg sie weiter durch das Königreich führte
Der Prinz prahlte zwar von seinen Heldenkunden
Doch die Prinzessin wusste, die waren alle erfunden
Er versteckte sich hinter ihr bei jeder Gefahr
Diese wollte nicht töten, sie war Veganer
Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor
Doch endlich klopften sie an das Heimatburgtor
Aber sie wurden weder mit Blumen noch Jubel empfangen
Das Prinzenpaar fühlte sich ganz übergangen
Gut, dann würden sie eben die Hochzeit aufschieben
Bis endlich ihr Happy End stand geschrieben
Solange wollte die Prinzessin vom Prinzen nichts wissen
Und ignorierte ihn ohne schlechtes Gewissen
Er würde sie sowieso bald zur Ehe zwingen
Da musste sie ja keine Zeit mit ihm verbringen
Der Prinz hingegen führte sich auf
Und verärgerte den ganzen Hof zu Hauf
Er kommandierte vor und wieder zurück
Nahm sich stets von jeder Torte das größte Stück
Verlangte Essen und Unterhaltung zu jeder Zeit
Und war zu keiner Einsicht bereit
Die Prinzessin fand das höchst unangenehm
Und wollte den Prinzen nie wieder sehen
Es vergingen Monate ohne das geschriebene Ende
Ohne, dass die Geschichte einen Schluss fände
All die Figuren wussten nicht, wohin
Ohne Happy End machte ihre Geschichte kein Sinn
Denn wozu ein Leben ohne Ziel?
Das brachte den Figuren auch nicht viel
Also beschlossen sie, nicht mehr zu warten
Und versammelten sich alle im Königsgarten
Die Prinzessin übernahm das Wort:
„Hört her, scheinbar ist unser Happy Ende fort!
Jetzt können wir natürlich beim Warten bleiben
Oder unser Ende selber schreiben!“
Alle waren in Aufruhr, „Wie soll denn das gehen?“
„Ab jetzt darf jede Figur seine eigenen Wege gehen!
Geht in die Welt und seid die Wende!
Wir sind unser eigenes glückliches Ende!“
Jubelschreie von allen Seiten
„Ihr sollt die Nachricht im Königreich verbreiten!“
Natürlich war die Begeisterung groß
Und jeder stürzte in sein eigenes Abenteuer los
Nur der Prinz trat aufs Podest
Und verkündet lautstark seinen Protest
Was als Nächstes kommt, könnt ihr es wissen?
Der Prinz wird endlich aus dem Schloss geschmissen
Von da an begann jede Figur zu leben
Und seine eigene Geschichte zu erleben
Das Schicksal war fortan ungeschrieben
Das konnte jeder selbst tun nach seinem Belieben
Der Koch zum Beispiel legte den Löffel nieder
Und begann zu schreiben die schönsten Lieder
Mit seiner Geige in der Hand
Zog er als Komponist durchs Land
Ach, und der Hausmeister vom Königsschloss
Schwang sich auch auf sein edles Ross
Mit Feder und Papier, stellt euch vor
Wurde er zum nächsten Starautor
Die Gänsemagd, das brave Kind
Macht sich auch auf die Reise geschwind
Mit Schwert, Rüstung und Mut im Herzen
Verbreitet sie als Raubritter Leid und Schmerzen
Der Schlüsselmeister war ein gemeiner Schuft
Und mit dem Schlüssel zur Schatzkammergruft
Stopfte er sich alles Gold in die Taschen schnell
Und leitete das nächste Drogenkartell
Ein Stalljunge, der das Heu verteilt
Hat sich auch schrecklich langgeweilt
Er hat zum Königsgeschlecht zwar keine Relation
Aber erhob trotzdem Anspruch auf den Thron
Und die Prinzessin, was wird sie jetzt machen?
Dem Stalljungen einfach ins Gesichte lachen?
Sagen, das wird nicht gehen ohne blaues Blut
Und ihn aus der Burg schmeißen vor lauter Wut?
Doch die Prinzessin hat für den Thron keine Begehren
Bei so einem Anspruch will sie sich nicht wehren
In einer dunklen Nacht ist sie weggerannt
Und mit ihrer Kammerzofe durchgebrannt
Jahre vergingen und das Treiben ging weiter
Der Stalljunge wurde zum Königsreichsleiter
Regierte mit Güte, alle waren zufrieden
Die Prinzessin hat das Schloss bis heute gemieden
Aus dem Chaos wurde eine neue Welt
Die allen - Volk und Schloss - gefällt
Und sollte sich der Prinz je wieder blicken lassen
Wird ihm der Drache einen Besuch verpassen
Nach zehn Jahren zieht die Autorin um
Und überall im Zimmer liegen Notizbücher rum
Sie öffnet eines und kann das sein?
Eine Geschichte ohne Ende, da war sie noch klein
Sie nimmt den Stift und will „Ende“ schreiben
Doch dann sieht sie etwas und lässt es bleiben
Ganz unten, wie von selbst, am Seitenende
Hat sich die Geschichte mit „Happy End“ selber beendet.
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