Die Schwägerin von Lech Wałęsa
Im spätsommerlichen Abendflimmern, als in Weitra der Herbst rief und man Plutzer zur Zier an den Zaunrand zerrte, machte er sich auf, eine Reise zu tun. Er litt unter niedrigem Blutdruck, „Hypotonie“ nannte es der Arzt. Da musste er an seine Bank denken – Geld, das war sein größtes Problem. Er hatte davon viel zu viel.
Begann, es aus dem Fenster zu werfen, in den Ofen zu schieben, in den Ausguss zu kippen – nutzte nichts, wurde immer mehr. Dazu Kreislaufprobleme, die Hypo machte ihm zu schaffen. Also die Hypotonie, doch er kürzte das meistens ab, so wie er seit längerem alles kürzte. Wege, Namen, Steuern. Hilfe. Urlaub, schnell.
Weg aus Weitra.
Fuhr los, quer durch Polen, durch unaussprechliche Dörfer, auf unaussprechlichen Straßen. Nach Masuren, in seinem Kopf ein Brummen, die Nase rann – vermutlich von Pollen. Man war sehr freundlich, sprach ihn oft auf seinen Nachnamen an. So, wie die Schwägerin von Lech Wałęsa ständig auf ihren angesprochen wird. Zu später Abendstunde kollabierte er vom vielen Piwo, heißt da Żywiec.
Weg hier, weiter.
Nahm ein Boot, einen Zug, einen Bus. Zwei Taxis, einen Esel und das Fahrrad seines polnischen Vermieters. Kam nach Aquitanien, wohnte nah am Wasser, ließ ein paar Tränen. Die Hypo erholte sich nicht, leichter Schwindel, Übelkeit. Dazu fror er – französischer Winter. Nach der dritten Fischvergiftung zweifelte er an der Diagnose „Fischvergiftung“ und nannte es Gastritis.
Weg vom Winter.
Er eilte, in Zügen und Lastern. Aß mit fremden Menschen kleine Gerichte. Ein Jurist, hieß Walter, gab eine Runde am Hauptplatz aus. Er sprach ihn erneut auf seinen Nachnamen an. Genervt erzählte er von seiner Schwägerin, die wohnte in Lech, arbeitete dort bei einer Bank. Er aß einen Fisch und spürte wieder die Gastritis. Die Hypo ließ ihn einschlafen, er erwachte allein.
Weg, der Walter.
Am Hafen kaufte er die Fähre nach Nador, Marokko, und ließ sich nach Messina, Italien, bringen. In einer kleinen Kapelle mit Betbank rief er seine Schwägerin an, in Tirol. Zu ihr hatte er immer einen guten Draht gehabt. Er aß ein kleines Nudelgericht und gab viel Trinkgeld. Als Gast war das sein Ritus. Fischvergiftung erholt, Hypo besser. Ihm wurde leichter.
Weiter Weg hierher.
Frühmorgens sprang er auf, packte seine Siebensachen, ließ sechs davon zurück. Nur einen langen Eisenstab als Stütze nahm er. Ihn zog es nach Lazio, gen Roma. In der Ferne zeigten sich bald sieben Hügel. Er schleppte sich zur Engelsburg. Wolken zogen auf, Regen setzte ein, Kreislauf gab nach. Kurz vor dem Petersplatz traf ihn ein Blitz.
Weg.
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