Die Stille der Nacht
Ich sitze auf der quietschenden Schaukel des heruntergekommenen Kinderspielplatzes und schaukle langsam hin und her, hinauf und hinunter. Wie viele Stunden habe ich hier wohl schon verbracht? Unzählige Erinnerungen, unbeschwerte Stunden als kleines Kind verbinde ich mit diesem Ort. Ich warte tagein, tagaus, Stunde um Stunde, auf die U-Bahn, in der Schlange beim Einkaufen, darauf, dass ich in der Nacht einschlafe, wenn ich mich unruhig hin und her wälze. Mein Leben besteht aus einer endlosen Warteschleife. Aber worauf warte ich? Auf den Zug, der stehen bleibt, mich mitnimmt und weit fortbringt? Der ist vermutlich schon längst abgefahren.
Ich bin zerbrechlich, vielleicht auch schon zerbrochen, in hunderttausende, ja abertausende Stücke. Aber mir fehlt die Kraft, aufzustehen und all die Scherben wieder einzusammeln. Stattdessen throne ich auf meinem Scherbenberg und blicke hinunter ins Tal auf ein Meer, ein Meer aus Tränen? Die Gemeindebauten vor mir wirken grau und abweisend, kalt und abstoßend. Es scheint fast so, als wäre dies eine Geisterstadt. Zurückgelassen? Verlassen? Verloren? Möglicherweise bin ich auch verloren, dabei würde ich mir doch nur jemanden wünschen, der meine Tränen trocknet, mich festhält, wenn ich abrutsche, der mir zuhört, auch wenn ich nichts zu sagen habe, der mich sucht, auch wenn ich nicht gefunden werden will.
Die Stille der Nacht umgibt mich, hüllt mich ein. Vielleicht sollte ich einfach davonlaufen, ohne Plan und Ziel aufbrechen, alles hinter mir lassen, zurücklassen: Die mir hämisch zulachende Vergangenheit, die eintönige Gegenwart und die trostlose, geplante Zukunft. Ich bin jung, die Welt ist groß und unentdeckt. Mein ganzes Leben liegt noch vor mir, aber dieses kann auch ein vorzeitiges Ende finden. Erinnerungen an ein Mädchen aus der Volksschule, welches damals bei einem Autounfall gestorben ist, kommen hoch. So viele ungenützte Möglichkeiten, ungelebte Stunden, unerfüllte Träume.
Das Leben ist unberechenbar, das Schicksal unbestimmbar. Nein, ich möchte nicht alles für später aufheben, nicht wertvolle Lebenszeit verschwenden. Langsam spüre ich, wie Lebensenergie meinen Körper erfüllt, mir wird ganz warm. Schon springe ich auf, laufe die Straße entlang, die Treppen hinauf, packe meinen Koffer und suche den Pass und Bargeld.
Auf einmal geht alles ganz schnell, wie im Zeitraffer zieht alles an mir vorbei. Ich finde mich auf einem Flugzeugsitz wieder, mit einem Ticket ins Nirgendwo in der Hand. Plötzlich spüre ich, wie eine Last von meinen Schultern fällt, ich habe wieder Luft zum Atmen und Leben, Lebensfreude fließt durch meine Adern. Endlich befinden wir uns in der Luft. Manchmal fühle ich mich wie ein Vogel in einem Käfig, der das Fliegen verlernt hat, aber jetzt fühle ich mich frei. So frei. Sinnierend starre ich aus dem Fenster, unter mir ein Lichtermeer, eine Handvoll an Erinnerungen. Auf einmal ist die Nacht nicht mehr so still. Lächelnd blicke ich einer neuen Zukunft entgegen.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX