Die Straßenlaterne
Er stand unter der Straßenlaterne, eine goldene Uhr in einer unbehandschuhten Handfläche, die andere Hand ruhte tief in seiner Tasche.
Das orangefarbene Licht umriss seinen großen Körper, seine dunkle Silhouette, während er dort reglos wie ein Stein verharrte. Nicht einmal ein Sturm konnte ihn zum Wanken bringen.
Es schneite stark, Flocken schmolzen auf seinem dunklen Mantel und klebten an seinen nackten Füßen.
Aber es schien ihm nichts auszumachen. Er sah nur auf seine goldene Uhr, die die Minuten verstrich. Es wäre aber schwer zu sagen, dass er hinsah, denn er hatte keine Augen. Er hatte kein Gesicht. Seine glatte Haut zeigte keine Emotionen, kein Lebenszeichen.
Aber er stand ausdruckslos da, die Finger zuckten unter dem Stoff seiner tiefen, tiefen Tasche. Und ein neugieriger Beobachter hätte sich gefragt, ob sie vielleicht irgendwohin führte, wo es wärmer war, da er sie nie herausnahm.
Ein Beobachter würde sich fragen, wer der Mann war, wie ihn die eisige Kälte nicht aus der Ruhe bringen konnte, seine Füße mit einem eisigen Kuss zu verbrennen. Brennten seine Fußsohlen oder waren sie vor Stunden taub geworden?
Sie würden sich fragen, wie er jede Nacht so da stand, die Uhr in der Hand, tickend, ohne aufzuhören. Was zählte die Uhr?
Er hob den Kopf und zuckte zur Seite, direkt nach vorne, wo ein stiller Beobachter stehen würde.
"Hat er mich bemerkt? ", Ein Beobachter würde sich fragen. "Kann er mich wahrnehmen, auch wenn er keine führenden Augen hat? "
Wenn der Mann tatsächlich sehen konnte, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen wandte er sich wieder der Uhr zu. Sie ist stehen geblieben. Irreparabel kaputt.
Ein Beobachter würde sich fragen, was das zu bedeuten hatte, aber er würde nie nachfragen, und der Mann würde nie antworten.
Er steckte die nun stille Uhr in seine andere Tasche und ignorierte den Platz, wo ein stiller Beobachter stehen würde. Der gesichtslose Mann wandte sich ab und ging die Straße hinunter, in Richtung Nacht, und ließ die Straßenlaterne flackernd und erlöschen.
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