Die Täuschung eines Anfangs
„Wo bin ich?“, frage ich mich. Ich blinzle ein drittes Mal und spüre, wie ich etwas mehr zur Besinnung komme. Ich schaue mich um und stelle fest, dass ich in der Schule bin. Wenn ich versuche, mich wirklich auf die Tafel vor mir zu konzentrieren, kann ich sogar erkennen, dass ich im Matheunterricht sitze. Ich schaue auf die Uhr an der Wand, die seit Wochen nicht mehr funktioniert. Niemand macht sich die Mühe, sie zu reparieren. Es bringt nichts. Es fühlt sich so an, als gäbe es sowieso kein Ende.
Die Glocke rettet mich vor meinen eigenen Gedankenspiralen. Sogar mein Held bereitet mir Kopfschmerzen. Es ist alles zu viel. Ich spüre, wie die Menschen um mich herum gehen, und ich erinnere mich, wo ich bin. Ich packe mein Notizbuch und meine Stifte ein und sehe, dass ich mitten im Unterricht aufgehört habe zu schreiben. Es ist immer so. Es wird niemals nicht so sein.
Ich verlasse das Klassenzimmer und versuche mich daran zu erinnern, welches Fach ich als nächstes habe. Ich könnte einfach meinen Klassenkameraden folgen, aber ich weiß nicht, wer sie sind. Am Anfang hatten sie Namen, aber nach einer Weile verschwammen alle ihre Gesichter zu einem Nichts. Ich muss also selbst meinen Weg finden. Ich nehme mein Handy heraus und versuche beim Gehen den Stundenplan zu finden. Die App lädt wie üblich sehr langsam, also merkte ich nicht, als eine Person vor mich tritt.
Ich stolpere und lande auf dem Boden. Mit einem Blick zur Seite sehe ich, dass sie auch gefallen ist. Ich atme tief ein und bereite mich auf die Reaktion dieser Person. Sie wird entweder verletzt, enttäuscht oder wütend sein. Ich stehe auf und strecke eine Hand aus, um ihr zu helfen. Zu meiner Überraschung nimmt sie es an, und ich beginne eine Entschuldigung, als sie mich plötzlich anlächelt.
Ich stoppe. Ich verstehe nicht, warum sie lächelt, aber ich zwinge mich, die Entschuldigung zu Ende zu bringen. Sie lacht und sagt mir, ich solle mir darüber keine Sorgen machen. Sie sagt sogar, dass es nicht meine Schuld ist. Ich finde es seltsam, aber ich gehe weiter. Ich habe erst zwei Schritte gemacht, als die Person nach mir ruft. "Hey warte! Ich habe deinen Namen nicht verstanden“, sagt sie mit einer freundlichen Helligkeit, die nicht zu dieser dunklen Schule passt. „Ich habe ihn nicht gesagt“, antworte ich. Sie lächelt etwas unsicher, und fährt fort: „Was ist er dann? Dein Name, meine ich.“ Ich glaube, ich habe ihn gesagt, denn sie lächelt wieder und sagt mir, dass wir uns wieder sehen werde.
Endlich lädt meine App. Ich sehe, dass ich keinen Unterricht mehr habe. Ich schaue auf die Uhr und es stimmt, also verlasse ich die Schule. Ich kann nicht aufhören, an diese Person zu denken. Sie schien nett zu sein. Vielleicht könnten wir Freunde werden. Als ich die Straße überquere, denke ich über die Möglichkeiten nach. Endlich hatte ich etwas, auf das ich mich freuen konnte. Ich war abgelenkt. Ich habe nicht geschaut, ob irgendwelche Autos kommen würden.
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