Die Wölfin
Als ich das Café betrat, stieg mir der Geruch von Kaffee sofort in die Nase. Es roch fast so wie jeden morgen bei mir zuhause.
„Hallo Ylvi!“, begrüßte mich meine Mutter. Mein Vater schwieg.
Ich mochte meinen Namen und seinen Klang. Ylvi bedeutet „die Wölfin“ und ich fand, der Name passte zu mir. Ich kämpfte wie eine Wölfin für meinen Traum vom Künstlerdasein, auch wenn es oft aussichtslos schien.
„Hallo“, antwortete ich.
„Wie geht es dir? Wie läuft die Arbeit?“, fragte meine Mutter.
Ich antwortete: „Mir geht es gut. Aspen übrigens auch. Er wäre auch gekommen, muss aber das Motorrad aus der Werkstatt abholen. Die Arbeit läuft nicht so gut, aber ich bin zuversichtlich für die Zukunft. Wenn ich nur einen Auftrag bekäme, dann würde sich alles zum Besseren wenden.“ Nun mischte sich auch mein Vater ein.
„Du solltest endlich aufhören, davon zu träumen, Künstlerin zu werden. Verschwende dein Leben nicht so. Du träumst dir die Welt, wie du sie gerne hättest, aber so einfach ist das nicht! Sieh deine Mutter und mich an: Wir haben in unserem Leben was erreicht und wir verdienen genug Geld, um für uns zu sorgen! Du könntest dir ein Beispiel daran nehmen…“, sagte er verzweifelt und fuhr fort: „Und mit dem Motorrad: Sei vorsichtig! Du könntest einen Unfall haben und sterben oder gelähmt werden. Willst du das etwa? ! Die Tochter meines Arbeitskollegen hat sich vor einem Jahr so blöd das Bein gebrochen, dass sie nun nicht mehr laufen kann. Scheiß-Pferdehobby.“ Er wurde nun sichtlich wütend. „Jetzt lebt sie von der Sozialstütze und ihre „Freunde“ sind auch Mist! Pass gut auf, mit wem du dich abgibst!“
Ich wusste, dass er es zwar gut meinte, doch es war mein Leben, nicht seines. Meiner Mutter war die Situation sichtlich unangenehm. Dennoch hielt es sie nicht davon ab, mir weitere „gut gemeinte“ Ratschläge zu geben.
„Ylvi, mein Liebling, ich habe auch einen Rat für dich: Denk an deine Cousine Tilda. Sie ist kaum älter als du und hat sich einen Braten in die Röhre schieben lassen und nicht abgetrieben. In der heutigen Zeit? ! Bei der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage? Sie wird ihres Lebens nicht mehr froh! Was wenn ihr Freund sie verlässt? Wie soll sie zurechtkommen? Und keiner weiß, ob das Kind überhaupt gesund auf die Welt kommt? Tu dir ein Gefallen, und warte damit, bis du mindestens 30 bist!“
Ich konnte es nicht mehr hören. Es machte mich krank. Nur weil sie ihr Leben lebten, ohne Risiken einzugehen, hieß das noch lange nicht, dass sie mir vorschreiben konnten, wie ich es zu leben hatte.
„Tut mir leid, aber ich habe einen Termin und muss jetzt gehen. Bis bald.“
Ich verließ das Café und spürte, wie die Blicke meiner Eltern mir folgten, während ich Aspen einen Kuss gab, mir einen Helm aufsetzte und wir auf seinem Motorrad davonfuhren.
In jedem Moment unseres Lebens könnte es für uns vorbei sein – und doch stellen wir uns jeden Tag den Wecker, vereinbaren Termine und verabreden uns mit Freunden.
Deswegen entschied ich mich dazu, nicht abzutreiben.
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