Déjà-vu. von Dzeneta Fejzic
Tick Tack. Fünf Minuten vor zwei Uhr. Der Richterstuhl noch immer leer. Die gedämpften Stimmen hinter ihr noch immer laut.
„Freispruch. ? Niemals.“
„Die arme Frau.“
„Wo sind ihre Angehörigen?“
Knacks. Eine Erinnerungstäuschung. Wie ewig ist es her, seitdem die Gräueltat stattgefunden hatte? Wie gegenwärtig ist die Situation, in der sie zu stecken sein mag?
In ihrem Rücken spürte sie, wie sich der weitgestreckte Raum weiterhin füllte. Sie wagte es nicht sich umzudrehen und in die vielen Gesichter zu blicken, wo doch keines zu finden war, welches ihr den Schutz vor dem Unbekannten bat. Zu ihrer rechten Seite nahm ihre Verteidigung Platz. Er roch nach Zimt. Déjà-vu.
In den engen Straßen taumelten sich Unmengen an Menschen. Der kühle Herbstabend machte sich an den geröteten Wangen jedes Einzelnen bemerkbar. Die Straßenlaternen dimmten die glücklichen Gesichter, doch die Euphorie konnte keiner verstecken. Zwischen der Nervosität, die immer mehr in ihr aufstieg, war ein Gefühl des Glücks zu erkennen. Ihre Augen wanderten von Schild zu Schild, inspizierten jedes Detail der vertrauten Straße um sie herum um danach wieder gedankenverloren auf den Gehweg zu starren. Sie versuchte, langsam ihre Zehen zu bewegen, zog dabei aber ein schmerzerfülltes Gesicht als sie merkte, dass diese schon längst eingefroren waren. Sie biss sich auf die Lippen und schlang die Arme um ihren Körper. In der Luft nahm sie den Geruch von Zimt und Keksen wahr, als zwei kleine Kinder an ihr vorbeiliefen.
„Wir werden diesen Prozess gewinnen.“ Der Verteidiger riss sie aus ihren Gedanken und lächelte. Ermutigend. Er drückte ihre Hand. Fest. Sein Lächeln glich dem eines Helden. Eines Mannes, der Überzeugung ausstrahlte und sich auf die Engel auf seiner Schulter ver- und leiten ließ. Unschuldig war sein Anblick. Nahezu biblisch. Sie nickte zaghaft. Déjà-vu.
Ein Paar Schuhe stellten sich vor ihre Füße und ihr Atem stockte. Herzrasen. Ihr Kopf schwankte hoch. Da war er. Er hatte ein Gesicht, dass einem Kunstwerk glich. Seine Augen leuchteten heller als jedes Polarlicht am Himmel. Sie wollte seinen Anblick einfangen und auf eine Leinwand malen. Er sollte in die Geschichte eingehen.
„Zimtkugeln?“ er stupste sie zart lächelnd an.
Tick Tack. Zwei Minuten vor zwei Uhr. Der Richterstuhl noch immer leer. Die gedämpften Stimmen hinter ihr leiser. Knacks. Die Bleistiftmiene zerbrach. Ihr Verteidiger seufzte. Déjà-vu.
In einer Herbstnacht teilte sich der Mond in zwei,
Tick Tack. Punkt zwei Uhr. Alle erhoben sich. Sie tat es ihnen gleich.
Und die Sterne bröckelten,
Die Türen gingen auf. Schritte waren zu hören. Herzrasen.
Fielen vom Himmel wie Feuerwerke,
Von ihrem Blickwinkel nahm sie wahr, wie er sie ansah. Wie der Richter Platz nahm.
Ins tiefblaue Meer.
„Sehr geehrte Damen und Herren…“
Sie sah zu,
Der Richterstuhl besetzt. Die gedämpften Stimmen hinter ihr nicht mehr zu hören.
wie ihre Welt zerfiel,
Es ist nicht lang her, seitdem die Gräueltat stattgefunden hatte.
an dem Tag,
Doch wie gegenwärtig ist die Situation, in der sie zu stecken sein mag?
an dem er ging.
„Wie haben die Geschworenen entschieden?“
„Der Angeklagte wird aufgrund Herzensbruch zur lebenslangen Haft verurteilt.“
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