Donnerwolkentränen
Die Kapuze tief ins Gesicht fallend zog ich die Mantelschnalle enger. Tropfen segelten auf die Stadt hinab, während peitschender Wind am Horizont heulte. Die fremden Stimmen verschmolzen zu einer, sich durch quetschenden Herde fotoschießender Reisender. Bunte Schirme wurden aufgeklappt. Gläserne Regensterne prallten an den, in die Höhe ragenden Plastikstoffen ab, und zerschellten am Kopfsteinpflaster. Grollen krachte über mir zusammen, als mich meine Beine weiter in die aufgehetzten Menschenmassen trugen. Ein Vorhang aus Regentropfen verschluckte die zwiebelförmigen Kirchtürme, als Schlieren ihre knöchernen Finger nach mir ausstreckten. Stolpernd überschlugen sich meine Beine.
Ich fiel hin.
Mit den Händen in der Luft rudernd, knallte ich gegen steinerne Treppen. Blutspritzer perlten über meine Hand den Arm entlang. Rote, nicht ganz dunkelrot, kirschrot rote, Tupfer, tunkten ihre Fußspitzen in die Regentropfen. Schwarze Punkte baumelten vor meinen Lidern, die sich als leichte Wellen im Wasser entpuppten. Das kristallene Spiegelbild der umher huschenden Menschenmassen zerbrach, als ich zittrig die Fingerkuppen in den zerbrechlichen Film steckte.
Kringel malten Donnerwolkentränen auf den glitzernden Schleier.
Verschwommen funkelte ein Gemälde auf dem Wasser. Lippen formten sich zu Worte. Worte, die ich nicht verstand. Die Spiegelung verlor an Glanz. Schwarz weiß verschmolzen die Pigmente ineinander. Wellen spuckten Farbe auf das Perlennetz. In Schwärze getaucht, schimmerte der Horizont golden. Die Fäuste aneinander pressend zuckte ich zurück. Frostklirrender Wind heulte streichelnd über meine Haut. Atem zog es mir aus den Lungenflügeln, als der Asphalt unter meinen durchnässten Sneakers zu vibrieren begann. Piebsige Laute rieselten durch meine Silberdrahtzahnspange hinweg.
Wie lange können wir noch weiter machen? So tun, als würden wir für immer auf der Schwelle der Kindheit zum Erwachsenwerden fest kleben. Die Augen vor dem Gewittergrollen am Horizont in der Ferne in die Kuhlen kriechen lassen! ? Den Kopf vor reiner Feigheit einziehen, wie eine Schnecke, die keinen Hunger mehr hat! ?
Sind wir von den Ohren schmeichelnden Parolen der maskierten Gesichter der bagatellisierenden Politikerinnen und Politiker erblindet! ?
„Sag schon!“
„Was denkst du?“
Wo treibt uns das schwankende Schiff des Planeten hin! ?
Segeln wir der verschleierten inanspruchnehmenden konsumgesellschaftlich zugeneigten Welt entgegen oder treiben wir mit einer Welle aus protestierenden ausbildungsplichtigen Jugendlichen vom Zog der megalomanischen Staatenlenkerinnen und Staatenlenker weg! ?
Ich zog den Wasserperlenatemhauch der gesichtslosen Fremden ein. Mein Herz bebte in der Brust. Schwankend taumelte ich etwas zurück, als ich mich aufraffte. Regensterne steckten mir im Haar, schmolzen zu Tränen, die mir den Wangen entlang flossen. Schulterzuckend schüttelte ich mich. Ging weiter. Verschmolz im vorbeiziehenden Getümmel trivialer, in die Luft gemeißelter, Wortfetzen.
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