Dopamin, Adrenalin, Endorphin und Cortisol – und das soll Liebe sein?
„Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich“, noch immer hallen seine Worte in mir. Was meint er damit?
„Scientia potentia est.“ Nach diesem Motto lebe ich bereits jahrelang, doch diesmal finde ich keine Lösung in meinem Repertoire. Die Logik lässt mich im Stich. Planlos. Das bin ich.
Amor und Humanitas waren mir von jeher noch ferner als die Erde dem Neptun. David ist im Gegensatz zu mir schon immer die Gattung des homo sapiens gewesen, die berechenbar, simpel und gefühlsduselig ist. Also eine vollkommene Verschwendung von Atomen und Oxygenium. Zumeist besitze ich eine regelrechte Aversion gegen Geschöpfe seinesgleichen. Ein obsoletes Exemplar der Bourgeoisie. Aber immerhin ist er in einer Sache praktikabel. Die humane Seite in mir zu berühren. Man mag es fast nicht glauben, aber ich bin de facto ein Mensch und besitze ebenfalls Gefühle. Gelegentlich äußerte ich das Streben nach gänzlicher Gefühlslosigkeit, doch David weckte immer wieder meine andere Seite. Die Seite, die sich nach etwas anderem sehnt. Jemand anderen.
Immer wieder schreite ich durch die Gänge, streife an anderen Menschen vorbei, entschuldige mich. Ich muss mich ablenken, sonst treibt er mich noch in dem Wahnsinn. Ich gehe mein komplettes Faktenwissen durch. Doch selbst nachdem ich Desoxyribonukleinsäure buchstabiert habe und sämtliche Bestandteile, Adenin, Thymin, Guanin sowie Cytosin in Erinnerung gerufen hatte, wollen meine Gedanken nicht ablassen. Paradoxerweise kommen sie immer wieder zu ihm zurück. Durch den erhöhten Adrenalinspiegel kann ich nicht klar denken. Sein Lächeln verfolgt mich regelrecht.
Ich kann ihm nicht mehr aus dem Weg gehen. Wie beim Potenzieren von komplexen Zahlen muss ich dieses Desaster mit Verstand langsam lösen.
Da steht er. Ich hatte ihn verständigen lassen, dass wir uns treffen würden. 13: 00. Es ist Zeit. Ich gehe langsam auf ihn zu, schleiche beinahe. Vielleicht würde ihn jemand anrufen. Vielleicht würde es einen Notfall geben und er könnte nicht mit mir reden. Vielleicht würde seine Schwester endlich gefunden und er würde beginnen loszustürmen. Nein. Nichts dergleichen geschieht.
Er blickt auf. „Lukas“, sagt er. „Scheiß drauf“, denke ich, „temporale Anomalie“. Die Eigeninitiative ad hoc ergreifend erhöhe ich meine Schrittgeschwindigkeit mit jedem Schritt. Adrenalin wird von der Nebenniere ins Blut ausgeschüttet. Kübelweise. Mein Atem geht schwer. „Mens sana in corpore sano“, dieser Weisheit sollte ich möglicherweise mehr Beachtung schenken.
Beinahe keuchend verlangsame ich meinen Schritt. Gleichwohl sich mein Adrenalinspiegel nun anscheinend ein wenig beruhigt, erhöhen sich Dopamin, Endorphin und Cortisol umso mehr.
Ich gehe den letzten Meter und sage fast flüsternd: „Ich dich auch.“
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