Doris hat angerufen.
Mich umgeben mehr Worte, als ich jemals sprechen werde. Tischplatte. Taschentuch. Tageslicht. Dringlich. Doris hat angerufen und gefragt, wie es dem Text geht.
Ich tauche meine Nasenspitze tief zwischen die Seiten. Mir kleben die Finger in schwarzer Farbe zusammen, Kugelschreiber oder Wimperntusche, ich weiß es nicht. Meine Handschrift hat begonnen, sich wie eine trocknende Pflanze an den Enden einzuringeln. Die Buchstaben sind Blätter, bereit für den Herbst. Die Buchstaben fallen.
Mich umgeben mehr Worte, als ich jemals denken werde. Diagnostik. Methoden. Einkaufsliste. Billigflüge. Banal. Ich sehe im Augenwinkel – weiß – nur mehr die Seiten. Die Pfeile, die mich von Absatz zu Absatz weisen, zeigen aufeinander, ineinander, verschlingen sich. Mir gleiten die Finger steif über den Heftrücken, Kälte oder Unbewegtheit, ich weiß es nicht.
Die Worte drängen sich näher an mich heran, ich kann sie aus dem Mund riechen, an meiner Seite spüren, sie schmiegen sich an die Haut. Kann sie über den Boden streifen hören, ähnlich leise wie der Lurch. Kann sie im Lichtstrahl treiben sehen, in Kreisen auf und ab steigend, wie der Staub. Die Worte legen sich ans Fenster, rauchig, bedecken deinen Himmel, Zeus, mit Wolkendunst.
Ich kratze das Papier schon mit den Lippen, der Stift schart sich Schicht um Schicht hinein. Ich setze einen Punkt, sehe, wie sich die dunkle Farbe ausbreitet, durch die feinen Adern des Blatts. Bedecke diesen Zettel, Zeus, mit Silbendunst.
Doris hat angerufen. Doris hat angerufen und gefragt, wie es dem Text geht. Sie bräuchte ihn doch ein wenig früher, ein wenig. Deshalb hat Doris angerufen. Mir ist der Blick zitternd zur Anlage gewandert, Angst vorm Abheben, Angst vorm Sprechen. Doris hat gesprochen. Und sie hat gefragt, wie es dem Text geht.
Mich umgeben mehr Worte, als ich jemals kennen werde, sie schmiegen sich an jede glatte Stelle meines Körpers, drücken sich an mich. Blumenstock. Tastatur. Kaffeeküche. Terminliste. Doris. Mir fallen die Augenlider ineinander, Luft oder Schlaf, ich weiß es nicht. Die Ellbogen rutschen nach vorne, langsam. Der Fuß zuckt zur Seite. Schnell. Die Worte kommen näher, enger, streichen über meine Wangen, kriechen mir in die Mundwinkel, zupfen mir die Wimpern vom Gesicht und kitzeln mich damit am Hals. Die Worte tanzen mir auf den Zähnen, ziehen an meiner Zunge, lutschen den Speichel, hüpfen auf den blauen Adern auf und ab. Die Worte beißen sich durch die Haut, bohren sich hinein, mit den Köpfen voran. Ich hebe den Kopf nach oben, auch die Decke ist voll, ist bevölkert, schon ganz dunkel. Bedecke meine Sinne, Zeus, mit Silbendunst.
Mein Nacken wölbt sich tief über den Seiten, alles klebt in schwarzer Farbe zusammen, ich oder Wort, ich weiß es nicht. Kopf-Zeile. Glied-Satz. Haupt-Wort. Ich oder Wort oder beides oder sie umgeben mich. Furchterregend. Sich Sorgen machen. Nicht weiterwissen. Ins Leere Schauen. Gähnen. Niesen. Wünschen. Einatmen. Ausatmen. Erkennen. Schaffen. Verwerfen. Neuland.
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