Dreckige Wolle
Hungrige Wölfe finden ein Schaf. Sie denkt, diese Metapher wäre zu poetisch für so eine alltägliche Situation. Sie braucht aber eine Ablenkung, und es gehen ihr zahlreiche Märchen und Gemälde durch den Kopf, in denen ein unschuldiges Lamm vorkommt.
Das Schaf sieht an dem Abend hübscher aus als sonst. Stolz geht es auf seinem Weg und genießt dabei das Leben, ohne an die Wölfe, deren Augen immer auf ihm liegen, zu denken. Wozu auch, wenn die Wölfe das Schaf nicht angreifen können, solange der Zaun dasteht. Aber starke Wölfe lassen sich von einem Zaun nicht hindern. Einer springt dagegen, und das Schaf, das vorhin so schön und weiß war, hat schon Flecken von den Pfoten auf sich. Kann man jetzt nicht mehr ändern.
Sie trinkt einen großen Schluck aus der Weinflasche, in der Hoffnung, dass es den Knoten in ihrem Hals auflöst, aber das ist nicht der Fall. Kurz bleibt sie still, während die anderen reden, und denkt über den Moment nach, als sie aus dem Haus gegangen ist, als sie sich noch umziehen hätte können.
Jetzt sieht das Schaf alle Wölfe, die sich am Zaun befinden, und warten. Sie beharren ganz vorsichtig, aber der eine kommt schlussendlich zu dem Zaun. Das Schaf hält verängstigt Abstand, doch es fühlt sich gezwungen kurz zu dem Wolf zu gehen. Schlussendlich hat er ja nichts gemacht und man kann sich nicht vor jedem Wolf fürchten. Der plötzliche Biss tut wegen der Überraschung noch mehr weh, und es ist jetzt voller Dreck und Blut.
Diesmal geht sie aus der Tankstelle raus, zündet eine Zigarette an und versucht die Tränen voller Ekel und Selbstschuld verschwinden zu lassen. Währenddessen hört sie, wie zwei über sie reden, oder vielleicht bildet sie sich das nur ein. Sie denkt darüber nach, ob sie nicht positiver zu der Sache stehen, und es als Kompliment betrachten soll.
Das Schaf wollte aber nur schön aussehen. Nicht fressbar. Es kommen immer mehr Wölfe, und das Schaf fürchtet sich immer mehr. Der Zaun steht noch immer da, aber die Wölfe werden immer hungriger. Das Schaf versucht sich zu verstecken, aber es hilft nicht, denn das Geheul ist weiterhin zu hören, und es wird lauter. Es ist müde. Lebensmüde. Seine Augen fallen langsam zu, es versucht die Wölfe auszublenden. Plötzlich stechen gelbe Augen hervor, als wären sie kleine Flammen, während die himmelblauen Augen von dem Schaf versuchen ruhig zu bleiben. Das Feuer könnte alles niederbrennen.
Ganz normale Männer. Ältere, Gleichaltrige oder selten, aber manchmal sogar Jüngere. Augenfarben kann man aber nie erkennen, wie auch, wenn sie nicht in ihre Augen schauen. Die Blicke brennen aber, also sollen sie orange sein, die Farbe mag sie sowieso nicht. Sie sieht manchmal sogar ein Grinsen. Plötzlich fühlt sie sich gezwungen sich die Gedanken von den Männern vorzustellen. Was sie alles mit ihr machen könnten. Sie spürt die kalten Hände, die unfassbar rau sind auf ihrem Körper. Wie ein hungriges Kind versucht er alles auf einmal zu nehmen. Ironisch, wer ist jetzt das Kind von denen. Sein Mund stinkt nach Bier, Zigaretten, Fleisch und er hat seine Zähne wahrscheinlich seit Wochen nicht geputzt. Sind es seine verrottenden Zähne, oder seine sterbende Lunge, was so riecht? Er will fressen, FRESSEN!
Sie ist schmutzig. Sie weint gleich los. Das Gefühl von Einsamkeit und Stummheit überwältigt sie plötzlich, und sie will nur verschwinden. Die Blicke der Männer fühlt sie noch immer. Sie ist schmutzig, wie ein Schwein, nicht mehr schön wie ein Schaf. Unter der Dusche heult sie und sieht, wie ihre schmutzige Wolle im Abfluss verschwindet.
Augen, die so blicken, fressen auch.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX