Drehend
Alles dreht sich. Der Planet. Das Wasserrad. Der Uhrzeiger an der Wand. Egal was geschieht, alles wird sich weiterdrehen. Ob man nun versucht es zu verhindern oder nicht. Die Leute werden schweigend wegsehen. Das Leben der Erde wie wir es kennen, wird langsam ihrem Ende zugehen. Auch wenn ein jedes Lebewesen nach dem anderen sterben würde. „Nichts wird sich ändern“, purzeln die Wörter aus meinem Mund. Man sollte meinen sie sollten niedergeschlagen oder wenigstens traurig klingen, aber so ist es nicht. Sie klingen emotionslos, so als hätte ich einen Fakt aufgezählt. Das komische daran ist, dass sich meine Gefühle genauso benehmen. Anstatt Wut, Trauer oder Verzweiflung zu spüren, empfinde ich rein gar nichts. So als wäre ich nur noch eine Hülle ohne inneren Kern. „Dein Schicksaal lässt sich auch nicht ändern, alter Freund, ” sage ich und recke mit schwerem Kopf meinen Hals nach oben, um einen besseren Blick auf die halb vertrocknete Baumkrone über mir zu haben. Ein großer einst stabiler Ast, schaukelt leicht im Wind. Der gleiche Ast, auf dem ich so viele Male unseren Garten überblickt habe. Früher war diese alte Eiche voller Leben, Freude und Hoffnung, doch nun, ist nichts mehr so wie es einmal war. In den Nachrichten sagen sie, es würde besser werden. Wir könnten die Welt heilen, wenn jeder mitanpacke. Doch, werden dies alle tun? Werde ich mithelfen? Warum sollte ich einen Beitrag leisten, wenn sich doch nichts ändern wird? Immer wieder haben wir versucht die Welt zu einem besseren Ort zu machen, aber um welchen Preis? Mutter sagte immer, alles drehe sich und nichts wird jemals anhalten. Früher hatte ich diese Phrase nicht verstanden, aber jetzt weiß ich seine Bedeutung zu verstehen. Denn jetzt dreht sich jedes Zahnrad, jede Windmühle und jedes Karussell weiter, auch wenn alles rundherum langsam zu verrotten scheint. Ein Rascheln im Gebüsch vor mir reißt mich aus meinen Gedanken. Kiki, das kleine Eichhörnchen, dass unseren Garten bewohnt, lugt vorsichtig aus seinem Versteck hervor und hebt meine Mundwinkel zu einem sanften Lächeln. „Hallo Kiki“, begrüße ich das kleine bräunliche Geschöpf. Daraufhin rast es die alte Eiche hinauf. Meine Mutter liebte Kiki über alles und hatte dem kleinen Tierchen immer frische Nüsse auf die Veranda gelegt. Sobald keiner mehr in Sicht war, sauste das Eichhörnchen herbei, schnappte sich die Nüsse und verschwand genauso schnell wie es gekommen war. „Wer besorgt dir jetzt Nüsse?“, frage ich mit einem stich in der Brust hinauf ins Geäst. Was soll ich nun machen? Mutter hätte gesagt, ich solle in meinem eigenen Tempo mit meiner Trauer fertig werden und weiter versuchen die Welt zu verbessern. Wie immer hat sie wahrscheinlich recht. Also stehe ich auf und wende mich ein letztes Mal der Eiche zu. „Ich bin gleich wieder da. Stell nichts an, Kiki“, sage ich mit neuer Hoffnung. Denn auch wenn sich alles weiterdreht, werde ich versuchen weiterzumachen. Natürlich beginnt diese lange Reise mit dem Einkauf von Nüssen.
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