Druck: Ein Fragment
Ein Lächeln. Ein Lächeln, das keine Falten um die Augen hervorruft. Ein Lächeln, bei dem kein Glitzern über die Pupillen huscht. Ein Lächeln, das schon längst nicht mehr über die mechanischen Muskelbewegungen hinausgeht.
Der hölzerne Boden knirscht unter den Schritten der vielen Menschen. Die hohen Wände des Saales verstärken das Murmeln der Leute, und ab und zu ist auch ein höfliches Lachen zu hören. Menschen mit ihrer Geschichte, Menschen mit ihren eigenen Vorstellungen und Erwartungen. Je mehr den Saal betreten, desto schwerer werden die Schultern. Je mehr sich durch die massive Eingangstür zwängen, desto größer wird der Druck, ein bestimmtes Bild aufrecht zu erhalten.
Die Gedanken und Vorstellungen der Anderen sind ein Mysterium. Jeder einzelne erwartet vom Anderen, dass er diesem Bild entspricht. Veränderung und gar Verbesserung sind der größte Feind. Die Augen der Personen um einen herum scheinen eine Kamera zu sein. Eine Kamera, die ein Foto macht und dieses für die Ewigkeit behält. Nur mit einem einzigen Blinzeln ist genau ein Bild archiviert, ein Bild, welches die Erwartungen für den Rest des Lebens bestimmt. Wer an der Aufrechterhaltung scheitert und das Bild Risse bekommt oder gar komplett in zwei reißt, der wird als fehlerhaft und unbrauchbar benannt. Derjenige, der es schafft, sein Bild völlig zu zerstören, wird nur noch mitleidend belächelt und mit einer Handbewegung abgetan. Der, der sein Foto aus eigener Kraft und Überzeugung verändern möchte, wird nicht mehr beachtet und als Problem in diesem perfekten Weltbild angesehen. Wer unter dem gesellschaftlicher Druck bricht, der gilt als schwach. Das Wohlbefinden des Einzelnen wird in die Ecke gedrängt, um der Gemütlichkeit der Gewohnheit Platz zu machen. Denn Gott bewahre jemand stellt sich gegen die Gesellschaft. Gott bewahre jemand denkt an Veränderung. Und Gott bewahre, dass jemand nach seinem persönlichen Glück langt.
Das Lächeln des Einzelnen geht leicht verloren in der Menge der Gesichter. Und dann? Wenn das Lächeln schlussendlich nicht mehr auftaucht? Wenn der Einzelne nicht mehr die Kraft findet, seine Mundwinkel nach oben zu ziehen und die Augen zum Funkeln zu zwingen? Dann erkennt man die Risse, dann sieht man, wie das Bild verblasst und schließlich verbrennt und nur noch Asche hinterlässt.
Der Saal leert sich, und unter den Menschen kommt eine Stille auf. Aber das Gewicht von den Schultern wird nicht leichter, nein, es ist immerwährend. Dann huscht ein Glitzern über die Pupillen. Aber keines, das von einem Lächeln kommt. Nur einen Augenblick später rinnen die Tränen über die Wangen.
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