Du hast genug getan!
Der Krankenpfleger warf mir einen mitfühlenden Blick zu, während er mir wohlwollend auf die Schulter klopfte. Von außen wirkte er gehetzt und angespannt, aber in seinen Worten lag eine beruhigende Wärme, die ich in mir aufsog, obwohl mir der wahre Sinn seiner Sätze verschleiert blieb. Er hatte sich diese Ausstrahlung sicher lange antrainieren müssen, damit sie so wirksam funktionierte. Merkbar wurde ich ruhiger, begann wieder gleichmäßig zu atmen und auch mein Herzschlag wurde immer langsamer. Gerade noch hatte ich mein Herz jedes Mal gespürt, wenn es meinen Brustkorb erneut zum Bersten treiben wollte, sich dann aber doch gnädig wieder zurück fallen ließ, jetzt war es nur noch ein eindringliches Ziehen, weit hinten in meinem Kopf.
„Gut, Kleine. Ich muss mir jetzt ansehen, wie es den anderen geht, wenn bei dir soweit alles gut ist. Komm bitte später nochmal ins Krankenhaus, damit wir dich sicherheitshalber komplett durchchecken können, obwohl ich glaube, dass bis auf ein paar Schrammen bei dir alles heil ist.“
Sein Lächeln sah irgendwie immer weniger echt aus, je länger ich es mir ansah.
„Nochmal großen Respekt für deine Leistung. Eure Nachbarn, die gerade auf dem Weg ins Krankenhaus sind, verdanken dir viel.“
Mit brüchiger Stimme fragte ich ihn: „Kann ich denn noch irgendwie helfen?“
Der Krankenpfleger schüttelte belustigt den Kopf. Mir gefiel seine Reaktion nicht – es schien fast so, als würde er mich nicht ernst nehmen – aber zumindest wirkte er endlich einmal echt. Ich verstand, dass er so etwas dauernd sagte, aber er machte es für mich nicht leichter, mit der Lage fertig zu werden, wenn er eine eingeprobte Rede herunter leierte, so als wäre das hier bedeutungslos für ihn.
„Kleine, ich weiß, dass ist noch nicht ganz in deinem Kopf angekommen, aber du hast gerade ein paar Menschen das Leben gerettet. Wärst du nicht gewesen, wären eure Nachbarn nicht so glimpflich davon gekommen. Du hast genug getan.“
Ich dachte über seine Worte nach als er zu den anderen Augenzeugen des Brandes ging, um zu kontrollieren, wie es ihnen ging und später, als meine Mutter mit Tränen in den Augen das Auto am Straßenrand zum Stehen brachte und mich stürmisch umarmte. Klar, ich hatte die Feuerwehr gerufen, den Feuerlöscher geschnappt und mit dem Ersatzschlüssel, den unsere Nachbarn uns gegeben hatten, die gegenüberliegende Tür geöffnet, aber ich war keine Heldin.
Wie konnte meine Aktion „genug“ gewesen sein, wenn unsere Nachbarn jetzt für immer Brandwunden am Körper haben würden?
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