Dunkle Gewässer
Wenn man in Richtung Süden blickte, lag das Meer still unter der Steilküste, auf der wir standen. Selbst jetzt, nach all diesen Jahren, kam es mir so unendlich vor. Es war wunderschön. Überall hier roch es nach Pflanzen, Natur und Meeressalz. Mein Bruder riss mich von meinen Gedanken und zog mich den sich schlängelnden Weg hinunter. Am Strand angekommen, schmissen wir unsere Handtücher auf einen Felsen und die Jungs sprangen sofort ins kühle Wasser. Ich lief in meinem Kleid noch ein Stück den Strand entlang, bis ich unter der hohen Steilwand stand und zu ihr hinaufsah. Sie war beindruckend hoch. Mit einem letzten Blick wandte ich mich ab und ging zu den anderen zurück, wo ich dann ins Wasser sprang und mich von ihrer Freude mitreißen ließ. Ganz überdreht und lachend, liefen und schwammen wir durch das Wasser. Plötzlich sah ich einen riesigen Felsen auf der anderen Seite der Küste, von dem man sicher wunderbar ins Wasser springen könnte. Ich schätzte ihn auf circa sieben bis acht Meter und stieß Thomas mit meinen Ellbogen in die Seite und zeigte auf den Felsen. Er schien meine Idee zu verstehen und rief begeistert: „Gute Idee. Ich bin dabei!“ Dann überzeugte er Max davon, der zuerst ein wenig skeptisch aussah, dann aber nachgab und uns hinterherlief. Wir liefen und kletterten übermütig den Felsen hinauf und kamen schließlich, ein bisschen aus der Puste, oben an. Jetzt wurde mir erst bewusst wie viel Zeit vergangen war. Wenn man in den Horizont blickte, versank die Sonne schon langsam im Meer. „So, was machen wir jetzt?“, fragte uns mein Bruder. Ich und Thomas sahen uns an und meinten: „Jetzt springen wir.“ Max schüttelte den Kopf und sagte: „Ohne mich. Ich warte unten am Strand auf euch.“ Als er runter lief, zuckte ich gleichgültig mit meinen Schultern und meinte: „Dann verpasst er halt den ganzen Spaß!“ Thomas lachte nur und ließ mir den Vortritt zum Springen. Ich nahm Anlauf, zögerte aber noch kurz und sah zu Thomas, der mich voller Erwartung ansah. Er sagte: „Du musst das nicht tun. Du kannst auch gerne von dort unten springen“, und zeigte auf einen kleinen Felsen unten am Strand. Ich sah ihn nur böse an und lief los. Als ich absprang, bekam ich plötzlich Panik. Ich wedelte mit meinen Händen und Füßen in der Luft und schrie laut auf. Dann drehte ich mich in der Luft und kam irgendwie ohne mir zu sehr wehzutun im nun dunklen Wasser auf. Vorbei war es mit der Idylle, die hier am Nachmittag geherrscht hat. Ich sank wie ein Stein. Um mich war nur Dunkelheit. Meine Haare, die ich kaum noch erkennen konnte, waren wie ein Fächer im Wasser. Ich paddelte mit größter Anstrengung, um an die Wasseroberfläche zu kommen. Vergeblich. Mir kam noch kurz der Gedanke, dass ich wohl zu übermütig und leichtsinnig gewesen war, bevor sich die schwarzen Punkte in meinem Blickfeld immer mehr vermehrten. Das letzte, das ich spürte, bevor mich endgültig die Dunkelheit umhüllte, war eine Hand, die fest mein Handgelenk packte.
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