Durch Herbstnacht zum Zug – Wer hat von uns den größten Mut
Es war tiefste Nacht. Genauer gesagt eine eisig kalte Herbstnacht. Warum nur hatte ich zugestimmt, dabei mitzumachen? Am liebsten hätte ich mir die Hände vors Gesicht geschlagen und mich einfach nur irgendwo versteckt. Außer den zwei dunkel angezogenen und maskierten Leuten vor mir war keine einzige Menschenseele weit und breit. Na klar, dass war auch zu erwarten um diese Uhrzeit auf einem Zugbahnhof. Jap, ihr habt richtig gehört, auf einem gottverlassenen Zugbahnhof irgendwo im nirgendwo. Also die besten Voraussetzungen für unser Vorhaben. Wie ich so darüber nachdachte, war ich doch ganz froh, mitgekommen zu sein, nicht nur da diese Nacht womöglich mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde, sondern auch, weil ich es in mir drinnen spürte. Etwas, dass schon seit so langer Zeit in mir bettelte und flehte. Etwas, dass ich schon vor langer Zeit hätte rauslassen sollen. Und nein, ich meinte nicht nur den Kick des verbotenen oder das Gefühl endlich mal das machen zu können, was ich auch wirklich wollte. Nein. Wobei diese Punkte natürlich in meiner Aufzählung der Pro Punkte dieser Action berücksichtigt werden sollten. Ich sprach hier von der Freiheit. Die Freiheit ists, die ich mein Leben lang gesucht hatte, und nun war sie zum Greifen nah! Ein triumphierender Laut, meiner Wegbegleiter riss mich aus meinen Gedanken. Endlich hatten wir unser Ziel erreicht. Mittlerweile waren wir hier ewig herumgewandert. Dementsprechend kalt war uns auch, aber das musste jetzt warten, schließlich hatten wir im Moment wichtigeres zu tun. Ein dumpfes Geräusch war zu hören, als einer meiner Kumpane eine schwere schwarze Tasche vor unseren Füßen fallen ließ. In dieser Tasche befand sich unser Schatz… Sprühdosen. Ich war die erste bei den Taschen und schnappte mir gleich eine mit knallpinker Farbe. Kaum, dass ich sie in den Händen hielt, machte ich mich auch schon über diesen unschuldige Zug vor mir her. Tja, mein Freund, zur falschen Zeit am falschen Ort. Nach diesem Gedankengang bestand meine ganze Welt nur noch aus Farben und Formen. Ich hatte mich regelrecht in eine Besessenheit gemalt. Hier ein Sprüher, da eine Linie. Mit einem diabolischen Grinser trat ich schließlich einen Schritt von dem Zug zurück und betrachtete mein Kunstwerk. Das erste Stück meiner Seele und es würden auch definitiv noch welche folgen. Auch die anderen waren mittlerweile fertig. Wir entfernten uns immer weiter von unserem Zug. Endlich hatten wir es vollbracht, wir hatten sie rausgelassen, die Freiheit. Nun hatte sie frische Luft geschnuppert und würde sich auch nicht mehr einsperren lassen. Gut so. Wir verschwanden, wie wir gekommen waren. Wir verschmolzen mit den Schatten und entschlüpften wieder unbemerkt in die eisig kalte Herbstnacht. Könnt ihr meine Seele sehen? Sie umgibt euch, beobachtet euch. Habt Acht, meine Kunst ist überall. Der Zug wird unser Vorbote sein. Danach folgen wir.
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