Durch Oma's Augen
Ich blicke aus dem Fenster des Autos. Meine Enkelin sitzt am Steuer, vor kurzem hat sie ihren Führerschein bestanden. Am Tag ihrer bestandenen Prüfung war ich sehr stolz auf sie, jetzt ist sie schon eine junge Frau, sie darf schon ein Fahrzeug lenken. Vor ein paar Wochen war sie doch erst mit der Volkschule fertig, die Zeit vergeht so schnell.
In ihrem Auto leuchten viele verschiedene Lampen und Knöpfe, die ich nicht verstehe. Als ich lernte, Auto zu fahren, gab es ein Gas und eine Bremse. Diese ganzen technischen Spielereien überfordern mich. Daher habe ich freiwillig meinen Führerschein aufgegeben, eine Fahrt auf der Autobahn wäre für mich nicht mehr möglich. Man darf seit einigen Jahren so schnell fahren, ich fühle mich immer wie eine Schnecke. Trotz der neuen Technik sind mir 130 km/h einfach zu schnell.
Seit einigen Jahren habe ich Schwierigkeiten, neuere Technik zu verstehen. Mein Sohn hat darauf bestanden, mir ein neumodisches Smartphone zu kaufen. Davor war ich total zufrieden mit meinem alten Tastenhandy, zu Telefonieren hat mir vollkommen gereicht. Er war davon überzeugt, dass ich WhatsApp und auch eine Kamera auf meinem Handy brauche. Ich habe doch schon meine Digitalkamera.
Von hinten hupt uns ein LKW an, seine Scheinwerfer sind blendend hell im Rückspiegel. Die Stadt leuchtet so hell in der Dunkelheit dieses verregneten Abends. In meinem kleinen Dorf am Land war es nie so hell, dort war das stärkste Licht bei Nacht der Mond, der das kleine Dorf in ein warmes Licht tauchte. Vor einigen Jahren bin ich in die Stadt gezogen, um mehr Zeit mit meiner Enkelin zu verbringen. An die Lautstärke der Autos habe ich mich immer noch nicht gewöhnt. Sie rasen immer an mir vorbei, wenn ich an der Hauptstraße zu meinem Lieblingsbäcker laufe. Jugendliche lächeln mich immer an, wenn ich an ihnen vorbei gehe, das freut mich sehr. Diese jungen Menschen haben noch so viel Zeit vor sich und sie verstehen sicher die neuesten Erfindungen. Als ich in ihrem Alter war, hatte ich das Gefühl, noch ewig viel Zeit zu haben. Diese ist vergangen wie im Flug.
Meine Enkelin drückt aufs Gas. Instinktiv klammere ich mich an der Tür fest. Die Tempoanzeige steigt und steigt. Früher gab es noch ein Limit, unsere Autos konnten nicht so schnell fahren. Die Entwicklung ist so schnell vorwärts gegangen.
Heute ist auch schon das Internet eine Gefahr, nicht mehr der böse Mann auf der Straße. Fast täglich bekomme ich Nachrichten von Fremden, die meine Daten oder mein Geld möchten. Manchmal verstehe ich nicht, ob es wirklich mein Sohn ist, der ein neues Handy hat, oder eine fremde Person. Mein Sohn schimpft mich immer, ich sei zu leichtgläubig. Ich kann den Unterschied zwischen KI und echt nicht mehr erkennen.
Meine Enkelin biegt auf die Autobahn ein und befährt den Beschleunigungsstreifen. Die plötzliche Geschwindigkeit weckt mich aus meinen Gedanken. Ich klammere mich an der Tür fest und beobachte die anderen Autos. Dieses Tempo macht mir Angst.
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