Echt jetzt?
Mit dieser stilistisch der Gegenwart derzeitiger Teenager entnommenen Frage beginne ich Hals über Kopf (HüK) einen Text über Sprache und ihre Vergänglichkeit. Niemand aus meiner Generation sagt heute mehr „Hals über Kopf“. Dieser Ausdruck ist für uns praktisch ausgestorben, was nicht heißt, dass wir nicht wissen, was damit gemeint ist. Es ist einfach eine unmoderne Redewendung, die jeder versteht, aber niemand mehr verwendet. Allerdings: unmodern kann nur etwas werden, was einmal modern war. War es das je? Man fragt die Eltern. Jaja, man kenne das natürlich; selbst verwende man es freilich nicht. Also weiterfragen bei der Großelterngeneration? Dort hört man bereits schlechter und antwortet „wie aus der Pistole geschossen“ (ein Zeitgenosse von HüK) mit Beispielen; interessanterweise immer mit den gleichen: sich HüK verlieben, HüK flüchten. Hals über Kopf Latte Macchiato bestellen aus purer, spontaner Lebenslust etwa ist nicht dabei. Traurig, denke ich, dass es für manche Ausdrücke nur so wenige Anwendungsfälle gibt. Was zollt man schon, außer Respekt und Anerkennung, was begeht man schon groß, außer Jubiläen und Selbstmord? Was tat man früher Hals über Kopf außer verlieben und flüchten?
Eine Recherche in Onlinemedien, welche Volltextsuche zulassen, bestätigt den Verdacht: „Hals über Kopf“ ist praktisch aus der Schriftsprache verschwunden und in der gesprochenen Sprache outdated.
Spontan, aber ganz sicher nicht Hals über Kopf schießt mir der Gedanke durch den Kopf, ob man nicht eine Art „Rote Liste“ für vom Aussterben bedrohte Worte machen soll. Man könnte diese dann wiederbeleben. Mein Opa findet die Idee famos, aber nicht neu und schenkt mir ein Exemplar von Georg Büchmanns „Geflügelte Worte“. Wann haben Sie übrigens zum letzten Mal etwas famos gefunden und es auch so bezeichnet? Noch nie, oder? Erwischt! Es ist ein Adjektiv der Achtzigjährigen. Ja, ich weiß, die Sprache lebt. Allerdings irgendwie nur vorwärts; nie zurück. Wenn wir unsere Jugendsprache mit alten Worten bereichern, klingt das vielleicht altklug und seltsam, aber das geht. Wenn mein Opa allerdings zu meiner Oma „swaggy Bitch“ sagte, wäre Fremdschämen das Wort der Wahl.
Es regt mich zum Nachdenken an, dass etwas, das für uns total normal und gebräuchlich ist, in einigen Jahren ebenso verschwunden sein wird. Wir sind heute durch Auslandssemester, YouTube und internationale Freunde sprachlich mehr geprägt von fremdsprachigen Einflüssen als von durchaus sprachbegabten heimischen Vorbildern. Schade, dass solche Ausdrücke aussterben. Offenbar, so lese ich in dem geschenkten Buch von Opa, ein Motiv für Büchmann, eben diese „geflügelten Worte“ schriftlich festzuhalten, vielleicht für eine Zeit, in der sie nicht mehr verwendet werden. Somit verstehe ich sein Motto, welches er dem Buch vorangestellt hat:
Wer könnte mehr von mir erwarten?
Für jeden bin ich eine Welt!
Dem Alter ein Erinnerungsgarten,
Der Jugend ein Entdeckungsfeld.
Wir danken unseren Unterstützern
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