Ein Abschiedsbrief
Eigentlich war ich ja selbst schuld, oder? Das ist zumindest, was alle sagen.
Ich hätte mich halt nicht in dich verlieben sollen, sagen sie. Damals, als die Lehrerin dich vorgestellt hat. Wie du vor der Klasse gestanden bist und dich vorgestellt hast. Ich weiß es noch ganz genau, als du dann vor mir gesessen bist und ich so perplex war, dass ich nicht gemerkt habe, dass die Lehrerin mit mir spricht. Erst als du dich umgedreht hast, habe ich das Gelächter der anderen gehört. Aber das war mir alles nicht so peinlich wie als du mir nach der Stunde gesagt hast, dass ich süß aussehe, wenn ich rot werde.
Von dem Moment an war’s mit mir vorbei. Ich konnte nur noch an dich denken, richtige Bauchschmerzen habe ich bekommen, wenn du nicht da warst. Aber dich zu sehen hat‘ s nicht besser gemacht. Da musste ich mich dann nämlich hinsetzen, weil meine Knie so weich waren. Aber getraut dich anzusprechen hab ich mich nicht.
Irgendwann haben wir’s ja dann aber doch geschafft und hatten unser erstes Date. Das ist dann auch super gelaufen und wir sind so richtig zusammen gekommen. Alle haben darüber geredet und wir waren das Traumpaar der Schule. Zumindest am Anfang.
Ich glaube, so richtig begonnen hat der ganze Scheiß, als mein Bruder mit seinen Freunden Geburtstag gefeiert hat. Ich war auch eingeladen und alles war super, bis ich dir davon erzählt habe. Du hast mir dann gesagt, dass ich dir mindestens einmal in der Stunde eine Nachricht schicken soll und das ganze Zeugs. Zuerst dachte ich, dass das eigentlich voll lieb ist, wie du dich um mich kümmerst, aber irgendwann hab ich‘ s dann begriffen. Leider war’s da dann schon zu spät.
Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, weiß ich eigentlich nicht, warum ich nicht damals schon gegangen bin. Damals, als du mich zum ersten Mal geschlagen hast. Wahrscheinlich wär‘ s besser gewesen, wenn ich jemanden davon erzählt hätte, aber ich hab mich halt einfach nicht getraut. Außerdem hab ich mir halt eingeredet, dass das meine Schuld war. Wer weiß, vielleicht wären wir immer noch zusammen, wenn du nicht zu weit gegangen wärst.
Ich kann mich noch genau an die Nacht erinnern. Es war dein Geburtstag und deine Eltern sind weggefahren, damit du eine Party veranstalten kannst. Als dann alle Gäste weg waren, waren wir beide betrunken, du ein bisschen mehr, ich ein bisschen weniger. Irgendwie sind wir dann in deinem Bett gelandet. Ich wollte eigentlich nicht, aber du meintest, es sei eine gute Idee. Ich habe nein gesagt, aber du hast mir nicht zugehört. In der Früh bin ich dann nach Hause gefahren und hab mir eingeredet, dass es nicht deine Schuld war. Dass du viel zu betrunken warst, um klar zu denken. Aber eigentlich hattest du ja nur zwei Bier.
Aber das ist nicht das einzige, woran du Schuld bist, Katarina. Genauso wie die von allen die mir gesagt haben, dass ich lüge. Dass das gar nicht sein kann, ein Junge, der vergewaltigt wird. Ihr alle seid Schuld an dem, was als nächstes passieren wird.
Tschüss.
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