Ein Gott, der kein Gott mehr sein wollte
Ich ließ mich ein letztes Mal auf meinem Stuhl vor dem Fenster nieder, legte meine Hände und den Kopf auf das Fensterbrett und schaute mit einem leeren und zugleich hoffnungslosen Blick auf mein Werk. Es war wohl das letzte Mal, bei dem ich meinem Schaffen begegnen würde und ich verspürte einen tiefen Schmerz in mir, der mir das Gefühl gab, in einem Meer unterzugehen, in dessen unbezwingbaren Fluten die Agonie allgegenwärtig war. Mein Dasein war schon immer von einem grotesken Hergang gezeichnet gewesen, doch all das, was meine Visionen mir zu Versprechen schienen, war auf einmal nicht mehr präsent, wie als ob ich ein vom Winde verwehtes und für die unendliche Ewigkeit vergessenes Herbstblatt wäre. Wie pittoresk doch einst all das war, was aus meiner Hand entstand und dennoch war es zum Scheitern verurteilt gewesen. Eine Träne floss mir durchs Gesicht und fiel, noch bevor ich sie mir überhaupt wegwischen konnte, hinab, dorthin, wo ich glaubte, meine Bestimmung gefunden zu haben, und es begann zu regnen. Die Erde war wie ein Freund für mich gewesen und dennoch war ich auf eine desolate Art und Weise gezwungen, diesen einzigen Freund zu verlassen, weil er mir nicht mehr das bot, was einst meiner Hoffnung entsprach. Die Erschaffung der Erde war wie ein plötzliches und nie zuvor dagewesenes, aufhellendes Licht, das die Leere und Kälte, die in mir vorherrschte, nieder zwang und auf der Mauer der Einsamkeit zerbersten ließ. Versunken in den unendlichen Weiten meines Geistes zog ich wie ein einsamer Nomade von einem Gedankental ins nächste, und ein nie endender Gedankenstrom riss mich immer weiter in eine unverständliche Realität, die meinem Individuum genau den Sinn nahm, mit dem ich einst meinen Freund schuf. Das schrille Aufschreien des pfeifenden Wasserkessels holte mich mit einem ruckartigen Stoß wieder zurück in das Hier und Jetzt und ich bemerkte, dass mein Zimmer immer mehr von der Dunkelheit der untergehenden Sonne bedeckt wurde. Mit einem erschöpften Aufatmen erhob ich mich, schenkte mir meinen wohl allerletzten Kaffee ein, legte den Schalter für mein Nachtlicht um und der Mond leuchtete vor meinem Fenster auf.
Es ist verwunderlich, warum ich den Menschen, bis jetzt, nicht einmal auf dem Horizont des aufmerksamen Lesers habe aufblitzen lassen, jedoch war genau dieses Meisterwerk der Grund für die Zerstörung von all jenem, was die Erde einst so prachtvoll und imposant geziert hatte. Die Wolken über dem vergeblichen Paradies, das sich meinesgleichen nie als Paradies offenbart hatte, verdichteten sich und der Himmel hüllte die Welt in ein furchterregendes schwarz. Ich spürte, dass der Moment gekommen war und drehte mich um. Im selben Moment in dem ich meinen Koffer nahm und sich meine Hand um den Türgriff schmiegte, würdigte ich, obwohl ich dadurch mein Versprechen an mich selbst gebrochen habe, die Erde keines Blickes mehr und öffnete das Tor, durch das ich nie wieder zurückkehren würde. „Ich habe genug von der Welt, ich habe genug von Gott“.
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