Ein innerer Monolog über die Zeit
G. D. , am 10. 09. 2022
Innerer Monolog über die Zeit
Die Zeit. Für manche ist sie ein absolutes Kontinuum, ohne Grenzen, Anfang oder Ende. Wie ein Fluss der Ewigkeit. Trotzdem beschwert man sich, dass einem keine Zeit mehr bliebe oder, dass sie so schnell vergehe. Für den Physiker hingegen ist die Zeit eine Erweiterung des dreidimensionalen Raumes. Sie bildet die vierte Dimension, womit sich die Raumzeit ergibt. Doch diese ist ganz und gar nicht absolut. Sie ist wie eine elastische Decke, die durch die vorhandene Masse gekrümmt wird. Laut Einsteins Relativität der Gleichzeitigkeit ist es sogar so, dass für jemanden in der Nähe einer starken Raumzeitkrümmung die Zeit sogar langsamer vergehe, das ist doch absurd! Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir so vor, als würde mein Zeitfluss strömen. Wie ein Fluss nach einem starken Unwetter. . . Und irgendwie habe ich Angst. . . Ich habe das Gefühl, dass meine Vergangenheit - nein, meine Erinnerungen, immer schneller von mir weg schweifen, wobei meine Zukunft auf mich zurast. Es ist so, als gäbe es überhaupt kein , , Jetzt‘‘, keine Gegenwart, denn sobald ich anfange sie zu genießen und wahrzunehmen, ist sie schon Teil der Vergangenheit. . . Stelle ich mir morgen vor, es ist Schule, wir haben Latein, ist es so, als wäre es das wirkliche , , Jetzt‘‘. Dieses fiktive , , Jetzt‘‘ ersetzt das jetzige , , Jetzt‘‘, obwohl es nur eine Einbildung der Gegenwart ist. Wenn ich mir , , Jetzt'' den Heiligen Abend von letztem Jahr in die Gedanken rufe, kann ich mir ein ungefähres Bild von dem diesjährigen machen. Vom Moment bis dahin fühlt es sich an wie eine ewige Reise. Während dieser Reise lerne ich neue Menschen kennen, entdecke neue Sachen und sammle Erinnerungen. Diese bewahre ich in einer Tasche auf. An meinem Ziel, dem Heiligen Abend, angekommen werfe ich einen Blick in meine Tasche, die zuvor gefüllt und schwer war, und stelle fest- es ist nichts mehr da. Die Tasche ist vollkommen leer. Ich weiß zwar noch ganz genau, was auf meiner Reise geschehen ist, doch am Ende bleibt eigentlich nichts Reales mehr übrig. Es passiert alles nur im Kopf. . . Deshalb frage ich mich manchmal, ob die Zeit nur eine Einbildung ist. Ob nicht alles eine Einbildung ist. . . Die Zeit vergeht - ich kann sie nicht anhalten. Ich werde geboren, wachse auf und sterbe. . . Das ist die einzige Wahrheit des Lebens, auf die ich wirklich zählen kann. . . Niemand kann diese zu einer Lüge machen. . .
Es ist so, als würde ich von einem Strom fortgerissen werden, in eine gezielte Richtung. Nach vorne. Die Zukunft. Der Strom selbst hat kein Ende. Aber ich schon. . . Am Ende kommen wir alle an einen Wasserfall und hören einfach auf zu existieren. . . Aber der Fluss, der fließt einfach weiter. . .
Erst seit kurzem merke ich, wie schnell dieser Fluss einen mit sich trägt. Ich bereue so viele Sachen nicht gemacht zu haben, obwohl ich genau weiß, dass ich sowieso genau gar nichts daran ändern kann. . .
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