Ein Kopf voller Watte
„Welcher Tag ist heute?“ Meine Frau sieht mich genervt an. „Das hast du heute schon drei Mal gefragt. Es ist Donnerstag“.
Wie jeden Tag mache ich einen Spaziergang durch den Park in unserer Nähe. Es ist warm, Vögel zwitschern und irgendwo bellt ein Hund. Ich setze mich auf eine Bank, mache die Augen zu und döse vor mich hin. „Rudolf!“ Eine kleine dickliche Frau kommt auf mich zugelaufen. Ich blinzle verwirrt. „Kennen wir uns?“ Sie fuchtelt hektisch vor meinem Gesicht herum. „Ich bin's!“ Ich schüttle den Kopf, stehe auf und gehe nach Hause.
Am Abend erzähle ich meiner Frau von der Begegnung. Sie schaut mich besorgt an und sagt dann, dass die kleine Frau ihre Schwester gewesen sei und ich sie doch seit über 25 Jahren kenne.
Am nächsten Morgen wache ich verwirrt auf. Wo bin ich? Panisch schaue ich mich um. Als ich meine noch schlafende Frau erkenne, breitet sich Erleichterung in mir aus. Ich entschließe mich dazu, meiner Tochter und meinen Enkelkindern einen spontanen Besuch abzustatten.
Erst in der U-Bahn bemerke ich, dass ich vergessen habe, mich umzuziehen. Ich trage noch immer meinen Schlafanzug. Neben mir flüstern zwei junge Mädchen und werfen spöttische Blicke zu mir hinüber. Ich lasse mich davon nicht irritieren und steige bei der nächsten Station aus.
War das die richtige Station? Bin ich überhaupt in die richtige Richtung gefahren? Und wo ist das Haus meiner Tochter? Ich laufe verwirrt umher, mehrere Male werde ich gefragt, ob ich Hilfe brauche. Nach einiger Zeit finde ich das richtige Haus. Ich läute an und sehe sofort ein kleines Kind im Türrahmen stehen. „Opa ist da!“ Meine Enkeltochter rennt auf mich zu und legt ihre kleinen Ärmchen um meinen Bauch. Lächelnd schaue ich zu meiner Tochter und ihrem Mann hinüber, doch die beiden sehen eher besorgt aus. „Vielleicht sollen wir ihn in ein Heim geben? Mama hat gemeint er ist in letzter Zeit oft so. . .“, höre ich sie flüstern. Was haben sie denn? Ein Heim? Warum?
„Papa, du solltest jetzt gehen. Marie macht sich Sorgen um dich.“ „Marie? Ich kenne keine Marie“, sage ich und kratze mich verwirrt am Kopf. Da ist es wieder, dieses komische Gefühl. Als wäre mein Gehirn voller Watte. „Marie. Deine Frau. Meine Mutter“, sagt meine Tochter und schaut mich stirnrunzelnd an. Ich nicke, aber eigentlich kann ich mich nicht einmal daran erinnern eine Frau zu haben. „Komm, wir bringen dich nach Hause“.
Abends lege ich mich in mein Bett. Während ich langsam einschlafe, höre ich neben mir das leise Weinen meiner Frau.
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