Ein langer Schlaf
Als ich das erste Mal zu mir kam, bemerkte ich, dass ich keinen Muskel rühren konnte, nicht einmal meine Augen konnte ich öffnen
Jedes Mal, das ich aufwachte, war eine Präsenz in meiner Nähe und jedes Mal war ich etwas länger wach. Keiner meiner Muskel wollte sich bewegen, meine Sinne waren alle ausgeschaltet. Meine Welt bestand nur aus meinen Gedanken und dieser einen Person. Ich war mir sicher, dass ich sie kannte
Ich wollte nichts anderes als diese bekannte Wärme auf meiner Haut spüren. Ich wachte auf und versuchte vergebens nach ihr zu greifen, mich zu bewegen. Meine ganze Existenz drehte sich um die Wärme dieser Person, die ich einfach nicht zu benennen vermochte
Langsam kamen meine Sinne zurück. Ich bemerkte einen leichten Druck an meiner Hand. Der Druck war immer da, wenn ich zu mir kam. Er und die Wärme waren eine lange Zeit das Einzige, was meine Gedanken einnahm
Sai. Als ich das erste Mal Wärme - richtige Wärme - spüren konnte, wusste ich, dass er es war. Nur er konnte so kalte Hände haben. Endlich konnte ich dieser Präsenz ein Gesicht zuordnen
Sein leises Atmen ging mir schnell auf die Nerven. Als ich wieder hören konnte, war mir dieses Geräusch genehm gewesen, doch dann wollte ich ihn nur erwürgen, damit ich sein Atmen nie wieder hören musste. Hätte ich mich doch bloß bewegen können
Als ich seine Stimme das erste Mal hörte, wäre ich am liebsten in Tränen ausgebrochen. Wie hatte ich diese arrogante Stimme doch vermisst. Bis jetzt hatte Sai niemanden, der ihn ansprach, mit einer Antwort bedacht. Wie selbstsüchtig. Wie lange hatte ich mich nach seiner Stimme gesehnt
Zu versuchen sich zu bewegen kostete Unmengen an Kraft. Jedes Mal, wenn ich kurz davor war etwas zu rühren, verlor ich das Bewusstsein. Ich weiß nicht wie viele Versuchte ich brauchte, doch irgendwann gelang es mir, Sais Hand leicht zu drücken
Die Augen zu öffnen war nicht nur das Schwerste, das ich jemals tat, es war auch das Dümmste. Noch nie zuvor wurde ich von so grellem Licht geblendet. Der einzige Gedanke, den ich fassen konnte, bevor alles wieder schwarz wurde, war die Befürchtung für immer blind zu sein
Das Erste, das ich sah, war eine weiße Decke. Ich starrte diese an und versuchte meine Muskeln in meiner Hand zu bewegen. Irgendwann musste ich Erfolg gehabt haben, denn das Nächste, was passierte, war, dass Sai plötzlich aufsprang und sich über mein Bett beugte. Sofort suchten seine blauen Augen die meinen und ich sah ein Lächeln auf seinen Lippen. Ich öffnete meinen Mund, um zu sprechen, doch das Einzige, was rauskam war ein Krächzen.
Sai sah mich besorgt an. „Warte“, befahl er mir und verschwand kurz, um eine halbe Minute später mit einem Glas Wasser wiederzukommen. Er setze mich langsam auf und hielt mir das Glas an den Mund. Das Meiste tropfte in meinen Schoß, aber ich war zu schwach, um es wegzuwischen.
Stattdessen fragte ich leise: „Wie lange?“
Sai presste die Lippen zusammen. „19 Monate.“
Ich schloss die Augen. „Wie?“
„Du bist gesprungen. Hals über Kopf…“
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX