Ein leichter Regenschauer
Unmut. Ein Gefühl, welches mein ständiger Begleiter geworden ist. Man hört zwei aufgebrachte Stimmen, welche sich stritten. Mama und Papa waren zu Hause. Keine Sekunde, in der einmal völlige Stille in unserem Haus herrschte, keine Sekunde, in der man das Ticken der Uhr hören und abschalten konnte. In den letzten fünf Monaten haben sie nicht einmal versucht mit mir zu reden, doch stattdessen haben sie ihre Trauer in Wut umgewandelt und machen das Familienleben unerträglich. Und was ist mit mir? Obwohl sie hin und wieder die Nähe zu mir suchten, gaben sie sich keine Mühe mir dabei zu helfen den Verlust zu überwinden.
Ich versuchte mich vergebungslos zu konzentrieren, während von unten aus dem Wohnzimmer die streitenden Stimmen durch die Wände klangen. Ein paar Minuten lang beobachtete ich, wie die Regentropfen die Fensterscheibe entlang runterflossen. Es ist eine lange Zeit her, seitdem ich das letzte Mal richtig draußen war. Ich zog mir etwas an und rannte raus ohne Bescheid zugeben. Ich stand vor unserem Haus mitten auf der Straße im Regen und blickte in den Himmel, während die Regentropfen auf meinem Gesicht landeten. Wie lange ich den Regen nicht mehr genießen konnte und wie sehr ich dieses Gefühl vermisste. Meine Schwester und ich liebten den Regen und nutzen jede Gelegenheit, um draußen zu sein. Als meine Eltern bemerkten, dass ich weg war und sich auf die Suche nach mir machen wollten, entdeckten sie mich, den Himmel anblickend, vor der Haustür stehen. Ich konnte ihre überraschten Gesichter förmlich spüren. Ich stand friedlich im Regenschauer und für einen Moment wurde alles still um mich herum. Als ich zu meinen Eltern hinüberblickte, sah ich deren lachenden Gesichter. Ich zeigte ihnen mit einer Handgeste, dass sie hinter dem Türrahmen hervorkommen und sich zu mir in den Regen stellen sollten. Für ein paar Minuten standen wir still da und genossen den Schauer, als auf einmal meine Eltern mit mir begannen wie Kinder im Regen zu tanzen. Für ein paar Minuten war alles friedlich. Für ein paar Minuten konnten meine Eltern den Verlust ihres Kindes, den Verlust meiner Schwester verdrängen.
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