Ein letztes Mal
Sie liegt im Bett und ließt ein Buch, als plötzlich die Stimme ihres Vater die Stille durchbricht: , , Schnell, ins Auto, mein Vater stirbt!“ Panik steigt in ihr auf. Sofort springt sie auf, greift nach einem Pullover und rennt zum Auto. Sie kann es nicht glauben, passiert das wirklich?
Es ist Weinachten, alle aus der Familie sind da-Onkel, Tante, Cousinen, Mama, Papa, Schwester, Oma- alle, bis auf einen. Ihren Opa. Er liegt im Spital. Doch sie macht sich keine großen Sorgen, denn er war schon oft im Krankenhaus und kam immer wieder gesund zurück, warum sollte also jetzt was passieren?
Sie sitzt im Auto, niemand sagt ein Wort, nur das Schluchzen der anderen ist zu hören. , ‚Hätte ich ihn bloß öfter besucht“, denkt sie. , ‚Ich hatte so oft die Möglichkeit, man hat mich immer gefragt, aber ich hatte nie Lust. Ich dachte, es würde wieder alles gut werden. Vielleicht ist das alles nur ein schlechter Witz. Er stirbt nicht, nein, sie wollen mich nur auf den Arm nehmen.“
, , Kling, kling“ – das Handy klingelt. Ihr Opa ruft an. Sie ist genervt. Immer ruft er an, um zu fragen, wie es ihr geht. Eigentlich ist das doch nett – warum also nervt es sie so? Sie weiß es selbst nicht.
Alle steigen aus dem Auto und rennen ins Krankenhaus, nur sie bleibt wie festgefroren sitzen. Sie hat Angst. Sie traut sich nicht hineinzugehen, sie hat Angst, dass es gerade wirklich passiert. Ihre Gedanken wirbeln durcheinander. , ‚Renn, schnell, bevor es zu spät ist!“ sagt eine Stimme in ihrem Kopf. Doch tief in ihrem Inneren hört sie sich selbst flüstern: , ‚Nein, bleib hier. Es ist nichts passiert.“ Für einen Moment zögert sie, dann wischt sie die innere Stimme weg und rennt schließlich doch ins Haus.
Sie und ihr Opa sitzen im Auto und fahren zum Asiaten, denn ihr Großvater liebte asiatisches Essen. Die Stimmung ist fröhlich, beide freuen sich auf die Speisen. Dort im Restaurant, reden und lachen sie viel, genießen das Essen und die gemeinsame Zeit.
Im Krankenhaus erreicht sie das Sterbebett. Ihr Opa liegt da, umgeben von allen Familienmitgliedern. Sie zögert kurz, doch dann geht sie langsam zu ihm, nimmt seine kalte Hand in ihre und flüstert mit brüchiger Stimme: „Du warst der beste Großvater, den man sich wünschen kann.“ In diesem Moment geschieht das Unfassbare – seine Augen öffnen sich.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX