Ein neuer Winter
Kalter Wind fuhr durch die Nadeln der Bäume, ein erstes Zeichen der kommenden Wintermonate. Die Wolkendecke war dicht und grau, das Land lag im tristen Halbdunkel des sich nähernden Abends. Die Menschen blieben in ihren Häusern, sammelten sich um ihre Feuer, versuchten an der Wärme festzuhalten die der Wind mit sich fortbließ.
Seine schweren Lederstiefel hinterließen keine Spuren in der gefrorenen Erde, und die einsame Gestalt wanderte zielstrebig durch die Hallen und Gärten. Ein dicker Pelzmantel schützte ihn vor der beißenden Kälte, doch in jenem Moment spürte er sie kaum. Seine Schritte verlangsamten sich, er fröstelte, zog seinen Mantel fester um seine Schultern. Er hätte es schon vor Jahren tun sollen, und so schenkte er seinen Zweifeln und Ängsten keine Aufmerksamkeit und atmete tief ein als er das Feld betrat.
Der Wind war stechend gegen seiner zu hellen Haut, als er vor einem der viele Steine auf die Knie fiel. Der Name der in den Stein gemeißelt war, trieb mehr Kälte durch seinen Körper als der Winter es jemals könnte. Sein Herz schlug schmerzhaft, und er fühlte das Pochen in seinen Ohren, langsam und schwer.
Mit Narben verzierte Finger strichen über den Stein, die Buchstaben verwittert. Die Jahre hatten ihre Zeichnung hinterlassen. Das Grab direkt daneben hingegen war fast neu, ein Symbol für das das sie überlebt hatten und für die Zahl an Menschen die sie verloren hatten.
Jahrelang hatte er sich nicht hierher getraut, die Grabsteine erschienen ihm wie Erinnerungen an seine Fehler und doch waren sie gleichzeitig seine Motivation. Die Energie die ihn an jedem neuen Tag aufrecht gehalten hatte. Oft hatten sie sich gefragt ob sie noch hoffen könnten den Krieg zu gewinnen, und nachdem die Antwort auf diese Frage klarer geworden war, verschoben sich seine Gedanken, suchten neue Rätsel.
Obwohl sie gewonnen hatten war es nicht klar ob sie den Sieg verdienten. Würden sie es schaffen eine Welt zu formen in der all die Dinge die sie verachtet hatten keinen Einfluss mehr haben würden. Würden ihre Kinder genauso wie sie zu Soldaten werden, in einer Welt die sie kaum kannten. Würden sie bessere Menschen sein als ihre Mütter und Väter.
Als er den Namen seines Bruders und seines Vaters auf den Gräbern ein weiteres Mal las, brannten heiße Tränen auf seinen frostigen Wangen, und doch wusste er, dass sie es nicht anders gewollt hätten. Sie hatten ihr Leben für das gegeben, an das sie geglaubt hatten. Seine Augen zum Himmel wendend sah er die ersten Sterne hinter dem grauen Vorhang und gerade als er sich erheben wollte, landete eine erste Schneeflocke auf seiner Nasenspitze.
Erinnerungen an vergangene Winter, an Kaminfeuer die gebrannt hatten wie die lodernden Häuser der Dörfer, Schneeballschlachten die ihn nun an Pfeile und Geschosse erinnerten und Schneemänner die geschmolzen waren wie ihre Träume im Angesicht des Todes.
Hoffnung blühte aus blutgetränkter Erde.
Ein neuer Winter und der erste Schnee für sie alle der Beginn der Heilung.
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