Ein normaler Schultag
Es ist sehr früh. Ich will nicht aufstehen, doch ich brauche die Bildung für meine Lebensziele. Also gehe ich müde die Stiegen hinunter. Bevor ich mich umziehe, putze ich mir im Versace-Bad meine Zähne – was für ein Privileg zu dieser Familie zu gehören. Ich bewege mich noch immer sehr verschlafen in mein Zimmer zurück. Nach dem Umziehen mache ich mir einen Kaffee, ohne eine Tasse überstehe ich den Tag nicht. Meine Vitamine eingenommen - um weitere Krankheiten zu vermeiden -, mache ich mich dran, meine Tasche zu packen. Immer vergesse ich Dinge, für die wichtigsten Sachen habe ich einen Rhythmus: „Handy, Geldbörse, Schlüssel, Maske. Handy, Geldbörse, Schlüssel, Maske.“ Ich gehe raus, es ist niemand aus meiner Familie aufgewacht. Meine Eltern sind spät nach Hause gekommen und meine Schwester hat bis spät in die Nacht gelernt.
Die Kopfhörer aufgesetzt, muss ich zur U-Bahn. Stress zu haben ist eines der unangenehmsten Gefühle, die es gibt, trotzdem kommt es andauert hinter einer Ecke hervorgesprungen. Die U-Bahn fährt gerade ein. Ich höre laut Musik, um den Lärm meiner Gedanken zu übertönen.
S-Bahnistvoll, keinPlatzzumAtmen.
Am Bahnhof angekommen, bin ich endlich einigermaßen wach – danke Kaffee. Der Beat gibt mir das Schritttempo vor. Ich sehe Schulkollegen, doch ich tue so, als ob ich sie nicht bemerkt hätte. Musik finde ich besser als ein erzwungenes Gespräch. Die erste Stunde fängt an. Man sagt, in der 1. Reihe bekommt man viel mit, aber meine Gedanken sind mir wichtiger als zum 100. Mal über Globalisierung zu sprechen. Es klingelt. Der Schultag ist zu Ende. Ich nehme meine Sachen und gehe hinunter.
Bei der Garageneinfahrt zünde ich mir eine Zigarette an. Der erste Zug ist der beste. Ich genieße den Moment: mit meinen Freunden in der Sonne eine Tschick rauchen.
Ich bin froh, dass ich in dieser Zeit leben darf. Internet und Musik gibt es überall, aber gleichzeitig müssen wir als Gen Z Ziemlich viel Scheiß erleben. Zuhause angekommen warten meine Eltern und meine Schwester am Küchentisch, aber nicht, weil sie Essen wollen. Sie wirken niedergeschlagen. Bevor das Gespräch beginnt, nehme ich mir ein Glas Wasser, dann setze ich mich hin.
Mein Vater – naja eigentlich mein Stiefvater – hat Krebs.
Ich versuche, meine Tränen zurückzuhalten, doch meine Mutter trifft den wunden Punkt und ich breche zusammen. Es fühlt sich hässlich an. Ich heule. Aufhören geht nicht. Verdrängen ist schwer, aber irgendwann funktioniert es. Ich beruhige mich nur sehr schwer.
Eine Freundin der Familie feiert am Abend Geburtstag. Wir gehen hin. Ich dusche mich und versuche, meine Müdigkeit zu überschminken. Dort angekommen habe ich das Gefühl, alle starren uns an. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ein Freund fragt mich, ob es mir gut geht, und ich sage ja. Das erste Mal habe ich bei einer Lüge ein schlechtes Bauchgefühl, weil ich weiß, dass es mir nicht gut geht.
Ich habe Angst vor der Zukunft. So viele Gedanken, und kein einziger bringt mich weiter.
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