Ein sauberer Bruch
Eleanor steht am Fenster und beobachtet den Sternhimmel. Er ist klar heute Nacht, ausnahmsweise ist keine Wolke zu erblicken. Ihr wird kühl, denn das dünne Nachthemd, welches sie trägt, kann kaum Körperwärme speichern, aber eigentlich macht ihr das eh nichts aus. Kälte, Wärme, alles nur Wahrnehmung und Einbildung, findet sie. Die Zigarette in ihrer Hand brennt langsam, aber sicher zu Grunde, also nimmt Eleanor noch schnell einen letzten Zug, bevor sie den Stummel schwungvoll aus dem Fenster schmeißt. Sie will aufhören mit dem Rauchen, heute Nacht, das schwört sie sich. Alle Zigaretten die sie noch besitzt, wird sie heute Abend verrauchen und ihre Stummeln alle nach und nach auf die Straße werfen. „Nicht nur die Zigaretten werden brennen heute Nacht“, denkt sich Eleanor stumm bei sich. Eine Weile lang bleibt sie noch stehen und raucht, dann verschwindet sie in ihrer Wohnung und kommt mit einer großen Kiste wieder. Bilder, Erinnerungen aus ihrem früheren Leben, von denen sie dachte, dass sie die mal brauchen würde. Wofür eigentlich? Mit grimmiger Genugtuung setzt sich Eleanor ans Fenster und beginnt ein Bild nach dem anderen zu verbrennen. Ihre durch die Flammen erhellten Augen glitzern. Als Außenstehender könntest du nicht unterscheiden ob es Tränen oder freudige Erregung sind. Für Eleanor ist es beides. Ihr Leben brennen zu sehen, erfüllt sie mit Gefühlen die sie nicht zuordnen kann und will.
Es dauert lange, aber irgendwann ist die Kiste leer und Zigaretten lassen sich auch nicht mehr finden, Ist die Zeit gekommen? Bebend erhebt sich Eleanor, schließt das Fenster und geht in die kahle Wohnung zurück. Alles schweigt, also dreht sie das Radio an. Irgendeine Mozart-Sinfonie, die jetzt auf voller Lautstärke durch die Küche dringt, aber immer noch besser als die Stille. Ihre Hand zittert als sie sich Whiskey einschenkt. Eleanor weiß, dass sie muss, der Bruch wurde eingeleitet und muss jetzt vollzogen werden sonst ist er nicht sauber und dann wird sie es nie schaffen alles vollkommen abzutrennen. Ihre Briefe sind abgeschickt, der Job ist gekündigt, der Kontakt zu allen ist abgebrochen. Heute Nacht kam der letzte Schritt: das alte Leben brennen lassen, aufhören mit dem Rauchen, sich betrinken und dann aufbrechen. In das neue Land, weg von all dem Schmerz hier. In den Zug Richtung Nirgendwo steigen und ja nicht zurückblicken. Eleanor leert die Flasche mit einem Zug und taumelt in ihr Schlafzimmer. Verschließt die Tür und lässt sich aufs Bett fallen. Sie zittert ungehemmt. „Schlafen“, flüstert sie, „schlafen muss ich jetzt“ Eleanor richtet sich auf, sieht die Packung auf ihrem Nachttisch an, schüttelt den Inhalt auf ihre Hand. Sie schluckt ihn komplett.
Eleanor schläft ein. Eleanor wacht nie mehr auf. Der Bruch ist ihr gelungen.
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