Ein Schirm
Womit es begonnen hatte?
Es musste das schreckliche Gefühl gewesen sein, keine Luft zu bekommen. Ihr Körper war von einer Panikattacke geschüttelt worden wie ein welkes Blatt im Herbst, ihre Kehle zugeschnürt, als sie zwischen den einzelnen, krampfhaften Schluchzern nach Luft rang, zusammengekauert unter strömendem Regen.
Dann verstummte das stetige Prasseln der Tropfen und ein Schirm wurde sachte über sie gehalten; eine Person, verschwommen durch den Schleier ihrer Tränen, beugte sich vor und fragte sanft: "Kann ich dir helfen? "
. . .
Er war freundlich und charmant, und sie verstand nicht, weshalb er ausgerechnet sie gewählt hatte. Was hatte sie schon zu bieten?
Doch wann immer sie das Thema zur Sprache brachte, lachte er, als hätte sie einen Witz gemacht. Er mochte sie, sagte er, mit all ihren Facetten und Ecken und Kanten. Er würde sie nicht mehr loslassen.
Sie erlaubte sich für einen Moment, ihm zu glauben.
Ihr erster Kuss war alles, was sie sich jemals gewünscht hatte und so viel mehr. Alle Sorgen und Ängste lösten sich auf in Wärme und der Sicherheit des Moments, und für einen Augenblick glaubte sie tatsächlich an ein Happy End.
. . .
Er war flatterhaft wie ein Luftzug, das wusste sie. Hatte es immer gewusst, auch wenn sie vorgab, seine schwindende Aufmerksamkeit nicht zu bemerken. Er liebte sie trotz allem, redete sie sich selbst ein, als sie einmal mehr im strömenden Regen darauf wartete, dass er endlich auftauchen würde.
Er tat es nicht, und es dauerte nicht lange, bis sie von den schweren Tropfen vollkommen durchnässt war. Als sie danach Fieber bekam und zwei Wochen lang krank war, brauchte er drei Tage, um sich zu melden, und dann nochmal zwei, bis er sie besuchte, einen Blumenstrauß voll halbherziger Entschuldigungen in der Hand. Sie machte sich längst nicht mehr die Mühe sich einzureden, dass sie etwas anderes erwartet hätte.
Und doch fühlte sich das Ende immer noch so abrupt an, als hätte sie die vielen Zeichen der letzten Monate nicht bemerkt. Als hätten sie eine glückliche Beziehung geführt. Das letzte Licht der Abendsonne verschwand langsam, je weiter er sich entfernte, und als sie hinter ihm endgültig zusammenbrach, zogen graue Sturmwolken auf, schwer wie Blei am Himmel. Ihre Bitten blieben ungehört.
Er liebte sie, wie ein Junge seines Alters nun einmal ein Mädchen liebt: grenzenlos, leichtherzig, kurzlebig.
Sie liebte ihn, wie man von einer Klippe stürzt: plötzlich, ohne Halt und Hals über Kopf. Und schlussendlich?
Schlussendlich war sie alleine. Bloß sie selbst, beinahe verschwunden inmitten des nassen Grau um sie herum; geschüttelt von unterdrückten Schluchzern und mit nichts als dem Regen, der unbarmherzig auf sie einprasselte.
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