Ein Schrei nach Freiheit
Der Boden war kalt unter seinen nackten Füßen. Er konnte Rauch riechen, Rauch und den Gestank des Unrates, der sich am Rande der Gasse stapelte.
Es war bereits dunkel und er war nur einer von vielen Schatten, die des Nachts durch die Straßen Roms huschten. Keiner würde die abgemagerte Gestalt des Jungen eines zweiten Blickes würdigen. Auch keine Diebe und anderes Gesindel, denn es war bereits auf den ersten Blick erkennbar, dass er nichts Wertvolles bei sich trug.
Er war nicht mehr weit von seinem Ziel entfernt. Noch ein paar Schritte, dann blieb er vor einem der Häuser stehen. Eine verhüllte Gestalt saß neben dem Eingang. Die Meisten hätten wohl vermutet, es sei ein Bettler, doch er wusste es besser. Er wusste auch, dass er mehr als nur einen Dolch unter seinem Umhang verbarg. Der Junge wandte sich ihm zu.
„Sklaven haben keine Zukunft“, flüsterte er.
„Außer sie schaffen sie sich selbst“, erwiderte der Mann. „Tritt ein“.
Er trat durch den Eingang und durchquerte eilig die Räume, bis er in den Innenhof des Hauses gelangte.
Ein Feuer brannte in der Mitte des Hofes, umringt von einem Halbkreis aus vielen hockenden Gestalten. Ein einzelner Mann stand vor dem Feuer. Geblendet vom hellen Schein der Flammen konnte der Junge nur dessen Umrisse erkennen.
Eilig ließ er sich am Rande des Halbkreises nieder. Jetzt konnte er auch die Worte hören, die der Mann in einem leisen, aber eindringlichen Ton sprach.
„Erinnert ihr euch noch an den Geschmack von Freiheit?“, fragte er. „Oder an Geschichten eurer Eltern, von einer Welt voll Möglichkeiten?“
Der Junge hörte das zustimmende Murmeln der Anderen und auch er dachte an die leisen Worte, die seine Mutter ihm ins Ohr geflüstert hatte. Heimlich, wenn alle schliefen und kein anderer sie hören konnte.
Der Mann sprach weiter. „Ich erinnere mich an ein Leben ohne Herrn! Ein Leben voll Freiheit!“ Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. „Aber ich erinnere mich nicht nur daran. Das ist der Traum, für den ich lebe. Das ist der Traum, für den ich kämpfen werde, und sterben, wenn es so sein soll! Doch dann werde ich als freier Mann sterben!“
Zustimmende Rufe ertönten aus der Menge. Auch der Junge fiel in den Chor der Stimmen ein. Dann hob der Mann eine Hand, und auf der Stelle verstummten alle, erwartungsvoll lauschend.
„Ich werde kämpfen, weil es nicht genug ist, ein Leben im Schatten eines Herrn zu leben! Ich werde kämpfen, weil es nicht genug ist, ein Leben ohne Freiheit zu führen!“, beendete er seine leidenschaftliche Rede.
Die Versammelten nickten und bekundeten begeistert ihre Zustimmung. Der Junge blieb still. Er betrachtete die leuchtenden Augen der Menschen um ihn herum.
Der Sklaven um ihn herum
Der Wunsch nach Freiheit glomm ihn ihnen wie Funken in der Nacht.
Der Junge lächelte.
Aus dem Wispern der Funken würde ein Schrei werden.
Ein Schrei nach Freiheit.
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