Ein Zimmer
Nur langsam konnte er verstehen, dass das jetzt sein Leben war. Seine Finger fuhren über den rauen Fenstersims, auf dem er saß. Draußen plätscherte der Regen gegen das Fenster. Sein Blick wanderte nach draußen. Menschen strömten durch die Straßen. Gelangweilt legte er sein Gesicht auf seine Beine. Seine Augen suchten etwas in diesem Zimmer, welches nicht seins war. Im Grunde war es jetzt seins. Seine Klamotten lagen zusammengefaltet im Schrank. Auf dem Nachtisch stand sein Wecker. Seine Brille lag ausnahmsweise im Bad, neben dem Waschbecken. Auch wenn das alles seine Sachen waren, gehörte das Zimmer, indem er sich befand, nicht ihm. Es war nicht Teil seines Lebens. Auch wenn die da draußen versuchten, es zu seinem zu machen. Stirnrunzelnd schaute er zu der weißen Tür. Aus der Tür kamen Menschen. Gute und schlechte. Das wusste er bereits. Doch konnte er meist nicht sofort erkennen, zu welcher Seite sie gehörten. Schleierhaft, so definierte er seinen momentanen Lebensabschnitt. Denn alles, was jetzt in seinem Leben passierte, empfand er als schleierhaft. Noch vor einem halben Jahr hatte er mit seinem besten Freund Tom versucht, irgendwie die letzte Abiklausur zu bestehen. Und nun? Er vermisste ihn. Doch Toms Gesicht kam nicht mal in die Nähe des Zimmers. Draußen an der Tür stand sein Name. Trotzdem kam keiner, den er wirklich liebte. Seine Mutter hatte ihn einmal besucht. Um ihn zu verabschieden. Denn er war jetzt kein Sohn mehr. Er war nur ein Mann ohne Mutter. Seine Mutter wollte ihn nicht mehr. Manchmal verstand er warum. Wenn er die Pillen in seinen Mund warf und sie mit einem Schluck Wasser runterspülte, verspürte er in einer winzigen Sekunde den klaren Verstand, dass er hier nicht hingehörte. Das reichte aber nicht, um diesem Zimmer zu entfliehen. Vorsichtig stand er auf. Er ging zur weißen Tür. Und öffnete sie. Draußen strahlte ihm künstliches Licht entgegen. Eine Schwester fixierte ihn kurz, dann nickte sie. Sein Armband war blau. Das reichte ihr wohl, um ihn unbehelligt durch die Fluren streifen zu lassen. Er blickte zu seinem Namen, welcher auf der weißen Tafel neben seinem Zimmer hing. Patient 140. Yannic Schüte. Diese neue Welt wollte er nicht. Doch er verstand, um die Welten zu wechseln, musste er sich den Spielregeln dieser Welt anpassen. Er fuhr sich durchs Haar. Doch was, wenn diese Welt keinen Ausweg hatte? Er drehte sich nach rechts. Der Gang kam ihm jetzt länger vor. So endlos. Wie der Weg in diese andere Welt. Er setzte sich auf den Boden. Seine Beine zitterten. Er hielt sie fest. Die Schwester kam zu ihm. In der Hand hielt sie eine Pille. Sie lächelte. Auf ihrem Namensschild stand Anna. Anna konnte er wohl trauen. Die Pille ließ sich leicht schlucken. Dann saß er wieder auf dem Fenstersims und schaute aus dem Fenster. Seine Welt war jetzt anders als die andere Welt.
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