Eine Begegnung
Seit einigen Monaten arbeitete ich halbtags in einem Supermarkt an der Kasse und jeden Samstag kam eine junge, gestresst aussehende Frau in den Supermarkt. Merkwürdigerweise kaufte sie jedes Mal ausschließlich mehrere Packungen Tempo-Taschentücher. Auch wenn ich nicht so sehr auf meine Kunden achtete, fiel sie mir direkt auf und ich wunderte mich jedes Mal, wieso sie kein einziges Mal auch etwas anderes gekauft hatte.
An einem weiteren Samstag wartete ich, bis sie wieder pünktlich um elf Uhr mit ihren Tempos an der Kassa stehen würde, doch diesmal völlig umsonst, denn sie kam nicht. Anschließend wurde Kassaschluss angekündigt und sie stand noch immer nicht an der Kassa an. Anscheinend hatte sie endlich genügend Taschentücher oder würde nächste Woche einfach wiederkommen, dachte ich mir. Wochen, dann Monate vergingen, doch sie kam nie wieder.
Schließlich wurde es Winter, als für mich die ganze Welt zusammenbrach. Unter Tränen wartete ich auf meine Bahn. Das Wertvollste, was ich jemals hatte, wurde mir einfach genommen. Mein kleiner Engel. Mein Kind. Ich war schwanger im sechsten Monat. Ich war. Mir wurde auf einmal ganz übel und meine Hände begannen heftig zu zittern. Alles um mich herum begann, sich zu drehen, bis plötzlich alles schwarz wurde. Nicht einmal der stechende Schmerz in meinem Hinterkopf konnte mich zurück ins Bewusstsein holen. War jetzt alles. . . vorbei?
Als ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, von einem schlimmen Albtraum aufgewacht zu sein. War das das Ende? Jedoch holte mich ein Blick auf meinen leeren Bauch zurück in die hässliche Realität. Ich war im Krankenhaus, stellte ich fest.
Als ich mich mühevoll aufsetzte, sah ich eine Frau, bei der ich das Gefühl nicht loswurde, sie bereits gesehen zu haben. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, dachte ich mir. Ich war so fertig mit meinen Nerven, dass ich es durchaus für möglich hielt.
Als sie mich bemerkte, lächelte sie mich an. Ein strahlendes, jedoch traurig wirkendes Lächeln, das man nicht so leicht vergessen konnte.
„Wenn Sie in den Himmel schauen und Sterne sehen, dann gibt es diesen einen Stern, der so hell leuchtet wie kein anderer. Das ist der Stern Ihres kleinen Sohnes. Auch wenn er nicht bei Ihnen sein kann, wird er immer für Sie leuchten. Auch in dunkelster Nacht wird er Ihnen ein Licht sein, das Sie führt“, sprach sie, bevor sie mir eine Packung Taschentücher reichte. Es waren Tempos, realisierte ich. Damit wurde mir klar, woher ich sie kannte. Überraschung ersetzte für einen Moment meine Trauer. Ich wollte gerade etwas sagen, als ich merkte, dass sie gegangen war.
Ich war so kurz davor gewesen, zu erfahren, wer sie wirklich war und würde sie vielleicht nie wieder sehen. Aber vielleicht war es auch meine Bestimmung, es nicht zu erfahren. Manchmal reicht es aus, jemanden nur anzusehen, um zu erkennen, dass diese Person ein guter Mensch ist, dachte ich und lächelte.
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