Eine glorreiche Zukunft
Es war der Sommer 1945 in Testacollo, eine kleine Hafenstadt, unbekannt und unbedeutend. Für die Nazis, welche zuvor in 1943 einen erfolgreichen Marsch auf Sizilien gestartet und mit der Zeit große Teile Italiens erobert hatten, war die Stadt ein nutzloser Fleck, wie viele andere.
Obwohl es sich um eine Hafenstadt handelte, war sie nicht von großer wirtschaftlichen Bedeutung. Es gab selten Schiffe, die an den Hafen andockten, und die Bewohner hielten sich durch den Verkauf und dem Konsum von Fischen und anderen Meerestieren am Leben. Auf eine Art ähnelte der Ort mehr einem Fischerdorf als einer Stadt. Die aus Sandstein gebauten Familienhäuser waren wenige, vielleicht die einzigen in Italien, auf denen keine Spur eines Luftangriffes oder gar eines Kriegs zu finden war. Die Leute schliefen jede Nacht mit vollen Bäuchen, unberührt vom Hunger, den der Krieg mit sich gebracht hatte.
So verliefen die Tage in dieser Stadt ohne großer Änderung, was daran erkennbar war, dass sich die Leute nicht über die Angriffe der Nazis oder Allierten, sondern über das Wohlergehen ihrer Familien unterhielten. Es ähnelte einem Cafe, umgeben von einer apokalyptischen Landschaft. Es war, als ob ein unsichtbarer Schleier über der Stadt lag, wodurch sie vor den vier Reitern der Apokalypse versteckt und verborgen lag.
Wieso dann würde jemand je diese Stadt verlassen? Im Schatten des Baumes geschützt von der Sonne möchte doch jeder sein Leben verbringen. Weshalb verließ dann das Mädchen namens Malena diesen glücklichen und verborgenen Ort?
Nun, es war keine bewusste Entscheidung. Keine durchdachte. Es gibt Momente im Leben, in denen das Bewusstsein des Menschen so derartig vernebelt ist, dass es nicht möglich ist, eine rationale Entscheidung zu treffen. Der Schutz und die Verborgenheit hatte den Ort für das Mädchen zu einer lebenden Hölle gemacht, geprägt durch die monotone Routine Tag ein, Tag aus. Oft wünschte sie sich in ihrer Naivität in einem Ort geboren zu sein, wo momentan der Krieg Schmerz und Elend verbreitete. Sie hatte ein falsches und beschönigtes Bild des Krieges in ihrem Kopf, mit tapferen Soldaten und Leben geprägt durch Disziplin und Änderung. Dieses Bild war fern von der Wahrheit, denn es zeigte nicht die Angst oder die Qual, die der Krieg mit sich gebracht hatte. Und so traf sie eine Entscheidung. Hals über Kopf. Geprägt durch die Unruhe ihres Herzens. Ohne Bedenken der Zukunft. Sie sprang mitten in der Nacht aus dem Bett, gekleidet in ihrem Nachthemd und unsichtbar in der Dunkelheit rannte sie zum Boot ihres Vaters, entfesselte es vom Mast und begab sich auf eine Reise weg. Weg vom monotonen Alltag. In eine für sie glorreiche Zukunft.
Als sie am ersten Hafen, den sie sah, ankam, weiteten sich ihre Augen und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Denn vor ihr lag das Land in Schutt und Asche. Schreie von neulich verwaisten Kindern füllten die schwere und erstickende Luft. Und die glorreiche Zukunft, in die sie sich Hals über Kopf begeben hatte, war nirgends in Sicht.
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