Eine neue Zeit
Noch 10 Sekunden, ertönte es aus den kreisrunden Lautsprechern. Gespannt starrten wir auf die wild blinkende Tastatur. Blau, grün, rot. Abwechselnd flimmerten die Farben auch über die Monitore und erloschen schließlich. Mit einem Schlag war es ruhig. Ich bekam vor Anspannung kein einziges Wort über meine Lippen. Das einzige Geräusch, das meine Ohren erreichte, war das immer gleichbleibende Brummen, das von den Motoren zu kommen schien. Ein weiterer Augenblick und das Brummen verschwand. Einige Momente lang vergaß ich zu atmen. Endlich war es soweit. Wir würden endlich die Früchte unserer jahrzehntelangen Arbeit ernten können. In unserem 5-köpfigen Team war Sophie die Einzige, die bereits seit den Anfängen der Erbauung dieser Zeitmaschine dabei gewesen ist. Ich blickte zu ihr hinüber. Ihre Hände zitterten vor Anspannung. Langsam griff ich nach ihrer etwas faltigen, kühlen Hand und drückte sie leicht. Sie lächelte mir aufgeregt und glücklich zu. Ihre Augen strahlten wie die eines kleinen Kindes, das darauf wartet, die Kerzen seines Geburtstagskuchens auszupusten. Da sich noch immer niemand gerührt hatte, machte ich den ersten Schritt und stand auf. Meine Knie zitterten, als ich den Hebel zum Öffnen der Tür ergriff. Unter enormer Kraftanstrengung schaffte ich es ihn zu betätigen und schob die schwere Eisentür beiseite. Ich trat einen Schritt nach vorne und sofort stach mir ein beißender sowie zugleich süßlicher Geruch in die Nase. Ich verzog das Gesicht. Als ich mich umsah, fiel mein erster Blick auf einen gigantisch großen Berg aus Plastik, zerissenen Kleidungsstücken und Gummi, der mehrere Meter hoch in die Luft ragte. Wir waren wohl auf irgendeinem Müllplatz gelandet. Ich glaube sie hatte wohl denselben Einfall mit der Müllkippe wie ich, denn sie lies sich nicht beirren und schlich die paar Meter um unser Fahrzeug herum zur anderen Seite. Ich folgte ihr und zog im selben Moment scharf die Luft ein, in dem auch sie nach Luft rang. Ein Müllberg reihte sich an den nächsten, der sich wiederum an den nächsten reihte. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich, dass es sich nicht um einen überdimensionalen Müllkübel, sondern um ein aus Abfällen und Plastik gebautes Haus handeln musste. Verwirrt ließ ich meine Augen über die aus Plastik ausgeschnittenen Fenster schweifen, die wie zufällig in diese Gefilde eingesetzt wirkten. Und erst der immer penetranter werdende Gestank nach vergammeltem Fleisch, der uns umwehte. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen und ich spürte, wie mir die Galle hochstieg. Wie hatte sich Wien innerhalb von unserer ausgewählten Zeitspanne so entwickeln können. Geschockt versuchte ich den Geruch zu verdrängen und merkte erst jetzt, dass dieser Ort hier die Lautstärke eines Friedhofes besaß. Ich hörte keinen Vogel der fröhlich zwitscherte, keine lachenden Kinder. Es war einfach totenstill. Seltsam. Obwohl die Luft drückend und heiß war, rann mir ein kalter Schauer meinen Rücken hinunter. Was war hier nur passiert?
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