Eine Ode an die Augenblicke
„Hey, hier ist mein Anrufbeantworter. Ich bin im Augenblick beschäftigt, hinterlass mir gern eine Nachricht. Bye!“
Es ist das erste Mal, dass ich die Aufnahme am Telefon höre. Um ehrlich zu sein wusste ich bereits beim Eintippen deiner Nummer, dass du nicht abheben würdest. Vor ein paar Wochen hättest du es wahrscheinlich getan. Mit einem Glucksen in der Stimme hättest du abgehoben und zart ein schüchternes „Hi“ geflüstert. So wie du es immer getan hast, wenn ich dich spät nachts anrief, um mit dir ziellos mit dem Auto in die Nacht zu fahren, während wir über die verwobenen Fragen des Lebens philosophierten.
Weg von meinen Gedanken. Weg von unseren existierenden Ichs, hinein in eine Welt, in der nur wir zählten. Eine Welt, in der wir eine Zukunft hatten, eine Welt in der ich eine Zukunft haben wollte.
Stundenlang hab ich in deine Augen geblickt, in denen sich die Augenblicke spiegelten, die diese Zukunft für uns bereit hielt. Doch nun sitze ich allein in meinem Auto vor deinem Haus, mein Handy in meinem Schoß, in der Hoffnung, dass du es dir anders überlegst. Die Augenblicke verstrichen, mit ihnen meine Hoffnung.
Während ich losfuhr rief ich dich 19 mal an, nur um deine Stimme zu hören. 19 Versuche hat es dich gekostet die Voicemail aufzunehmen, wo sie doch beim ersten Mal schon perfekt war. Aber 19 war deine Lieblingszahl. Sie erinnerte dich an den Herbst. Klingt absurd laut ausgesprochen, aber ich erinnere mich genau an jedes Detail des Augenblickes, als ich mich in dich verliebte. Ein letztes Mal wähle ich deine Nummer, rufe mir dein Gesicht ins Gedächtnis. Wie gern hätte ich nochmal deinen Blick gestreift und dort alle Augenblicke genossen, die wir hätten haben können, hätten wir sie nicht in einem unachtsamen Moment zerstört. Ich bereue, wie verschwenderisch ich mit dieser kostbaren Zeit war. Aber nun bin ich hier und brabble diese Ode an eben jene Augenblicke, die wir hätten haben können auf deinen Anrufbeantworter. Eine Ode an die kleinen Augenblicke, die Helden großer Geschichten. Ich trauere um sie alle: um die Augenblicke, in denen die Euphorie kribbelnd durch meinen Körper jagte, aber auch um die in denen ich gelähmt vom Lärm meiner Gedanken in der dunkelsten Ecke der Psyche kauerte. Du musstest mich retten kommen, wo du doch selbst taub vor Lärm warst. Alles würde ich geben, um dich ein letztes Mal mal zu halten, ein letztes mal die Wärme, die mich so oft vor dem Erfrieren bewahrte, spüren. Ein letztes „ich liebe dich“. Doch das kannst du nicht mehr hören, selbst wenn du abgehoben hättest. Das Brechen von Glas, der Knall von Metall auf Beton und die dumpfe Gewissheit endgültig von den Augenblicken, die wir hätten haben können, Abschied nehmen zu müssen , verschlucken meine Worte. „Sie hatte einen schnellen Tod“, werden sie sagen. „Sie war augenblicklich tot“ werden sie sich versichern, um sich weniger schuldig zu fühlen, da sie in den Augenblicken, in denen ich sie so sehr gebraucht hätte, mir nicht in die Augen blicken konnten.
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